Chinisau: einmal sehen und durch die Gassen gehen
Chisinau, eine typische, europäische Hauptstadt. Große Parks mit hohen Bäumen, verlassenen Sitzbänken und nach Futter suchenden Schwärmen von Tauben. Die Boulevards sind gerade und breit, die Fassaden der Ministerien mächtig und herausgeputzt. Die moldwaische Flagge hängt in der Windstille vom Mast, hin und wieder findet sich das Banner der EU anbei, wie ein Bekenntnis zu einer Zukunft, die selbständig oder mit Rumänien vereint, in der EU liegt.
Chisinau an einem trüben, regnerischen Jännertag ist wie jeder andere Ort auf diesem Kontinent. Dunkel und trist, die Leute waten durch die Straßen mit Blick auf den Boden, die Scheiben der Busse sind angelaufen, die Baustellen noch grauer als Beton. Der heiße Tee schmeckt heißer, das Licht der Teestube erscheint wärmer.
Aber ja, Chisinau ist nicht wie jede europäische Hauptstadt. Absteits der Boulevards sind die Wege holprig, die Gehsteige aufgerissen, in der Nacht stockdunkel und die Fassaden bröckeln. Ein wenig Regen und schon schwimmen die Fahrbahnen in Wasser, die Verkäufer am Kunstmarkt ziehen Planen über ihre mobilen Stände. Irgendwie warte ich sehnsüchtig auf den Abend, wenn die Wärme der Schmuckbeleuchtung der großen Straßen und Geschäften angeht und alles mit einem Hauch Glamour überzieht und die Realität eines Jännertages verdeckt.
Der niedrigere Wohlstand – in Vergleich zu Österreich – macht einen Besuch in der Stadt äußerst günstig: das Busticket vom Flughafen in das Stadtzentrum kostet mich zehn Eurocent, das Gebäck am Straßenkiosk etwa das Doppelte. Neu errichtete Wohungen der gehobenen Klasse sind um 700 € / m2 zu haben (zum Vergleich kostete Wohnraum in Dornbirn 2019 durchschnittlich 5.400 € / m2), das Doppelzimmer mit Frühstück in einem 3-Sterne Hotel um 20 Euro. Dennoch lassen sich keine Touristen in den Straßen blicken. Aber es ist auch ein trüber Jännertag in Moldawien.
In der Maschine aus Wien schien ich der einzige Nicht-Moldawier zu sein. Spätestens bei der Passkontrolle in Chisinau fiel ich auf – mußte ein Rückflugticket und eine Hotelbuchung vorweisen. Die Dame mit Mundschutz und hinter dickem Plexiglas war hartnäckig, penibel und kaum zu verstehen. Falls sie nur dem Protokoll folgte, hatte dieses eine Portion Sarkasmus inne. Der Andrang österreichischer Illegaler mit Wunsch nach Aufenthalt und Arbeit in der moldawischen Republik dürfte sich in den letzten Monaten gewiß in engen Grenzen gehalten haben. Nachdem mich die junge Beamtin doch meinen Fuß auf moldawisches Staatsgebiet stellen ließ, pickte mich auch noch der Zoll aus der Menge zur Kontrolle meines Gepäcks…
Im Café Propaganda gönne ich mir den zweite Kuchen des Tages. In Chisenau gibt es sie alle – die dicken Sahnetorten, die Kuchen, italienische und russische, schwere und leichte. Nach dem Hauptgang teste ich einen mehr. Sie sind einfach gut, und im Propaganda sitzt es sich zwischen Büchern, Tapeten und restaurierten Möbeln gut. Für einen Tag kann ich die graue Fassade der Vorstädte vergessen, ihr Neuwert provoziert meine Neugierde für diesen einen Tag. Und doch wollte ich diese vergessene Ecke Europas einmal sehen und durch ihre Gassen laufen.