Tirnova: orthodoxe Röcke und hölzerne Pflöcke
Nebel in Tirnova, schon seit Tagen. Ein Phänomen, welches sich fast gleich hartnäckig in den Hügeln hält wie die Gebräuche der Dorfbewohner. Es ist Zeit, sage ich mir, hinter dem Fenster Platz zu nehmen und eine Bestandsaufnahme zu machen. Es ist notwendig, weil ich auf eine Goldmine von Erzählungen gestoßen bin. Hat alles mit Knoblauch angefangen, weil er überall herumhängt und Bram Stoker wohl als Leitmotiv für seinen Dracula-Roman gedient hat. Er hängt wirklich überall herum, an den Türen und unter Dächern, natürlich auch in der Küche. Leute mögen ihn im Essen, aber auch weil er als Hausmittel-Ersatz für Antibiotika dient. Hilft auch bei dummen Fremden, die sich mit Knoblauch vor dem Einschlafen einschmieren. Soll angeblich gegen Blutsauger helfen. Die Dorfbewohner aber haben nur vor einer einzigen Spezies Respekt: die Geister von Verstorbenen, die sich für im Leben erlittene Schmach und Leid revanchieren wollen. In hartnäckigen Fällen hatten Dorfbewohner schon mal den Körper des Verstorbenen aus dem Grab geschaufelt und einen Holzpflock durch das Herz getrieben. Das sitzt dann richtig und Ruhe ist.
Das Begräbnis ist ein Anlass, bei dem das Dorf zusammenkommt und die Familie des Verstorbenen so richtig arm macht. Der Leichenschmaus ist gigantisch und viele Mäuler sind zu stopfen. Das ist ein Zeichen der Achtung – gegenüber dem Toten, der bei Respektlosigkeit gerne zurückkommt (siehe oben). Selbstverständlich kassiert der Dorfpfarrer der orthodoxen Kirche für seinen Auftritt. Er kassiert eigentlich immer: bei der Totenmesse, beim Begräbnis, beim Leichenschmaus, der nach sechs Wochen wiederholt wird, dann nach drei Monaten, und und und. Das Karussell der Ausgaben dreht sich weiter, der Priester reibt sich die Hände und das nächste Schwein kommt unter das Messer.
Mit 19 ist man im Dorf schon längst verheiratet. Hat ein Auto und ist verschuldet, meist von der Hochzeit, die wie der Leichenschmaus, ein Volksfest ist. Das Essen, das Trinken, das Lokal, die Sängerin, und, richtig, der Dorfpfarrer. Wer dann immer noch nicht verheiratet ist, mit dem stimmt was nicht. Weil es nicht einmal die Eltern geschafft haben, eine Braut oder Bräutigam aufzutreiben. Verabredete Hochzeiten sind auch heutzutage keine Seltenheit, aber vor dem Priester sind dann alle gleich – denn er ist eindeutig der Chef der tiefgläubigen Landbevölkerung. So oft wie der seine Hand geküsst bekommt, braucht er keine feuchten Taschentücher mehr. Bei der Beichte gehen die Leute nicht wie die Katholiken in den Beichtstuhl in die Wand, sondern kriechen dem Priester unter den Rock und werden dort von ihren Sünden erlöst. Tja, man sagt, der Weg in den Himmel ist hart.