Ivalo: White Ice
Ich bin schläfrig, besonders am Vormittag, denn die Nacht war wieder kalt und unterbrochen. Mehrmals suchte ich nach der passenden Position im Schlaf, einer Stellung, die am meisten Wärme versprach und den minimalsten Komfort. Ich wache auf und schlüpfe aus dem Schlafsack, unwillig, denn die Yurte ist eiskalt und meine Kleidung auch. Meine Ansprüche an mein Dasein verringern sich stetig – die Art des Essens, des Lebens, der Hygiene, eine Art Überlebensinstikt erfasst mich. Ich streune in der kleinen Küche herum, meine Augen suchen durch die drei Regale nach Essbarem. In der Ecke sitzt Maslow und grinst mir nickend zu: die Bedürfnispyramide, stupid!
Die nächste Stadt ist gut 8 Kilometer entfernt. Das sind eineinhalb Stunden Gehweg hin, eineinhalb Stunden Gehweg retour. Das mache ich zwei Mal die Woche. Einmal am Wochenende, wenn ich zu einer Wanderung aufbreche und mir noch Proviant besorge. Und einmal in der Mitte der Woche, wenn ich in der Bibliothek meine Geräte aufladen und Arbeiten im Internet erledigen möchte. Hin und wieder habe ich Glück und ich komme per Anhalter in die Stadt. Diesmal bringt mich ein Elektriker auf seinem Nachhauseweg mit, entlässt mich vor der Bibliothek, ich bedanke mich und sage auf Wiedersehen, sage Hallo am Empfang und nehme Platz. Zwei Stunden später, es ist bereits stockdunkel, trete ich in den Winter. Der Schneefall hat in kurzer Zeit zehn Zentimeter gebracht. Die acht Kilometer Weg nach Hause sind wie ein Waten im Sand, der Schnee knirscht und die Autos wirbeln Schnee Meterhoch auf. Das letzte Stück zurück zum Camp, etwa einen Kilometer Wald, ist ein weißes Band durch einen hellen Wald, der Vollmond leuchtet herab und der letzte Schnee fällt zart. Die Luft riecht metallen, die Stille ist vollkommen. Ohne Stirnlampenlicht bin ich Teil des Waldes. Ein Winter ist einfach fabelhaft. Der kleine Teich im Wald ist zugefroren, der Schnee liegt locker und wenige Zentimeter hoch darüber. White Ice.
Es sind bald vier Wochen, dass ich jeden Tag in eine Yurte steige und den Ofen im Zelt anwerfe oder Feuerholz nachschiebe. Ich mache es mir so gemütlich es nur geht, meist direkt vor dem Ofen, strecke meine Glieder, schreibe etwas, suche nach einem Keks im Rucksack. Der Tag war wieder ausgefüllt mit Arbeiten, wie jeder andere Wochentag auch. Das Tippi ist beinahe fertig – der Boden ausniveliert, mit Paletten exakt verlegt, Teppich zugeschnitten, Möbel aufgestellt, den Innenraum dekoriert. Meist sind es Tischler- oder Forstarbeiten, bei denen ich anpacke, Maßanfertigungen für Elektrogeräte, unsere Hunde, das Camp. Jeden Tag dasselbe Prozedere: die Hunde in den umzäunten Park führen, Auslauf. Sie sind aufgeregt, springen in die Höhe, jauchzen, bellen, heulen, sie sind kaum zu bändigen. Ich mag sie sehr gerne, sie wachsen einem ans Herz.
Hin und wieder fahren wir zum Bauhof, holen uns kostenloses Baumaterial vom Mülldepot, transportieren es zum Camp in den Wald und gestalten wieder etwas Neues, Notwendiges. Eine Türe, Hundehütten, Kompostanlagen, einen Wandschrank oder eine Aufhängevorrichtung für den kleinen Schlittenfuhrpark. Mehrmals am Tag treffen wir uns zu einer Pause an der Küche, die im Freien steht, trinken einen halben Becher Kaffee und essen ein Butterbrot. Meine tägliche Kost um acht und elf und fünfzehn Uhr, am Abend kocht dann einer von uns, was sich gerade im Küchenregal finden lässt. Im Stirnlampenlicht und bei Minustemperaturen, das kondensierte Wasser tropft von der Decke, ist es nicht immer einfach, ein Mahl für mehrere zuzubereiten. Auch ich muss ran, und am liebsten mache ich Kartoffelsuppe als ersten Gang. Das geht einfach und wir haben auch am nächsten Tag was davon, zum Butterbrot.