Kadisha Valley: am Karfreitag durch das Tal der Heiligen
Das Tal ist lang, eng und steil, zu beiden Seiten ähnelt es einer bewaldeten Schlucht, es wie ein fruchtbarer Canyon. Wir gehen nun seit über zwei Stunden auf schmalen Pfaden, auf und ab, und dann beginnt diese Melodie durch die Luft zu reisen, ein Chor menschlichen Gesangs, fast schon Engeln gleich. Eine Melodie wie aus der Vergangenheit. Es sind Nonnen, die in einem der noch bewohnten Felsklöster die Karfreitagsmesse feiern und zum Lobgesang angestimmt haben. Ihre Stimmen sind in der ganzen Schlucht zu hören, berühren uns auf eine Art und Weise, die auch noch in dieser modernen, technisierten Welt möglich ist: durch den Klang.
Nach gut fünf Stunden erreichen wir das besagte Kloster (‚Our Lady of Qannoubine‘), betreten es und werden nach einem ‚Bienvenue‚ sogleich zur Tafel einer Gruppe von Feiernden gebeten. Wir bekommen Fladenbrot gefüllt mit Thymian und Olivenöl, Tee und Süßigkeiten, jeder erkundigt sich nach meinem Wohlergeben und heißt mich im Libanon willkommen.
George bringt mich durch die Schlucht. Mein Freund Michel hat mir diese Wanderung organisiert und ich bin froh drum. Mit dem Bus wäre das eine – trotz der relativ kurzen Anfahrtswege in Libanon – eine größere Unternehmung gewesen. Jetzt aber lässt mich George wilden Spargel und den hier überall wachsenden Thymian kosten, füttert mich mit den Pistazien-Oster-Cookies seiner Mama und zeigt mir die vielen verfallenen Felsklöster und Einsiedlerhöhlen aus den letzten 2000 Jahren. Das Kadesha Tal war wegen seines schwierigen Gelädes ein idealer Rückzugsort für die lange verfolgten christlichen Glaubensbrüder und bildet für die libanesischen Maroniten einen identitätsstiftenden Ort.
Das Wandern macht mir Spaß. Nach den vielen Wochen und Monaten auf See und in der Marina, in der ich meine Beine nur selten zu gebrauchen wußte, hatte ich auf Zypern endlich wieder Gelegenheit, in die Berge zu kommen und ausgedehnte Unternehmungen wie am E4 Fernwanderweg (Zypern) oder entlang der Küste (zB Akamas) durchzuführen. Schon nach zwei Tagen im Land kann ich mich für die Gegend nur begeistern.