Wadi Rum: Was übrig bleibt
Der Sand fegt über die Ebene, in hohen Fahnen bläst ihn der Sturm von Westen weiter. Alles taucht in ein wehendes Grau. Die Fahrspuren sind nicht mehr zu sehen, das Auto driftet im weichen Sand. Es ist nichts zu erkennen, fast wie im Nebel im herbstlichen Europa. Die Wüste ist zum ersten Mal nicht leise. Es zischt und faucht, das Auto wackelt und ächzt, der Sand prasselt wie ein Platzregen über uns hinweg. Die Wüste verschwindet und ich mit ihr.
Die letzten Tage. Mit Dfallah, dem Bruder von Madallah, sitze ich irgendwo in der Wüste und wir kochen Tee am offenen Feuer, schauen in die Ferne und sagen wenig. Was heißt schon leben? Nichts anderes als das hier, über die Ferne nach innen sehen. Dfallah schenkt mir einen Berber-Mantel, so ein richtig dickes Teil für die kalten Nächte. Ich brauche es schon am nächsten Tag, ein eisiger Wind bläst durch das Camp. Ich rolle mich hinter einen Felsen, genieße die Sonnenstrahlen im Gesicht. Schaue auf die Uhr, starte dann einen Fußmarsch ins Dorf. Es sind schöne Kilometer, trotz der Kälte. Ibrahim holt mich bald mit dem Müllwagen ein. Das Auto selbst ist schrottreif, aber irgendwie tuckern wir bis zu Madallahs Haus. Kamele kommen uns entgegen, schauen neugierig, ich erwidere ihren Gesichtsausdruck und mache mich dann auf in mein Büro, welches an diesem Tag mit einem Heizstrahler bestückt ist. Dumm nur, dass das ganze Dorf keinen Strom hat.
Der Abschied ist da und wird emotionslos von den Berbern praktiziert. Bis auf Ibrahim, den ich lange im Arm halte, kann sich weder Abdallah noch die anderen zu einer bewegenden Handlung hinreißen. Sie hoffen auf ein Wiedersehen, laden mich ein wiederzukommen. Aber auch ich und Ibrahim bringen nicht mehr als zwei Worte in unserer Umarmung hervor, schweigen wie immer, es ist durch diese Geste der Umarmung schon alles gesagt und vereinbart. Jeder von uns beendet seine Verabschiedung mit dem Wort ‚Inshallah!‘. Mit diesem Konzept (‚So Gott will!‘) kann ich etwas anfangen. Manche Dinge liegen einfach nicht in unseren Händen. Ich finde darin eine ausgesprochene Befreiung, eine Entlastung. Es gibt Dinge, die ich nicht zu entscheiden habe. Es ist eine Form des Loslassens und daraus ergibt sich eine Stärke, eine Furchtlosigkeit, die mich beflügelt.
Der Sand fegt über die Ebene, in hohen Fahnen bläst ihn der Sturm von Westen weiter. Ich lasse meine Freunde in der Wüste zurück, zurück mit ihren Hoffnungen – Madallah auf ein gutes Geschäft, Abdallah auf eine hübsche Frau, Ibrahim auf eine friedliche Zukunft irgendwann in der fernen Heimat. Und auf was hoffe ich? Auf nichts. Ich tue das Richtige, und der Rest ist Schicksal.