Nach Malta: graphit-graues Wasser
An einem gewöhnlichen Samstag Abend heben wir den Anker, ein einfacher, mechanischer Vorgang, der dennoch stets einzigartig bleibt – in jedem steckt eine andere, besondere Geschichte. Es ist also kein gewöhnlicher Samstag Abend. Wir haben Lino im Oz & Cappucco die Hand gegeben, Rodrigo am Boot verabschiedet und Wolfgang bis zur letzten Minute mit Fachfragen bombardiert. Wir verlassen unseren Platz P5 am Public Quai, den wir für gut drei Wochen für uns beansprucht hatten, als wäre es unsere Adresse, unser Zuhause auf Sizilien. Hier haben wir Gewittern und wilden Wellen getrotzt, neue Freunde gewonnen, unentwegt an den kleinen und großen Projekten unseres Vorhabens gearbeitet. Jeden Morgen ließen wir die Passarelle herunter, gingen mit Donna zu den Bäumen und dann weiter in ein Café. Die Straßen wurden zu den täglichen Wegen, und dann holen wir eines Tages die Ankerkette ein – es ist stockdunkel und wir fahren hinaus in die große Bucht. Am Anker klebt immens viel Schlamm und wiegt bald das Vielfache, mühsam machen wir ihn fest, tuckern aus der Bucht auf die offene See, die viel ruppiger ist, als uns die Vorhersage verraten wollte. An unseren Händen klebt Lehm des Porto Grande.
Die Lichter der Stadt entfernen sich, die Promenade an der felsigen Küste wird immer kleiner. Gewaltige Schatten schieben sich zwischen uns und Siracusas Silhouette, Berge schwarzen Wassers verdecken das Schimmern der Stadt, immer und immer wieder. Wir staunen wortlos. In der Finsternis des bewölkten Himmels ist das, was man nur schemenhaft erahnt und unter sich in seiner ganzen Kraft fühlt, ergreifend, gespenstisch. Erst als der Mond zwei Stunden später aufgeht und der Himmel über uns aufklart, erhellt der Schein des Erdtrabanten das dunkle Meer. Die Oberfläche des Meeres hat sich verändert, schimmert metallisch-grau, wie aus flüssigem Graphit, gezeichnet von Millionen von Bleistiften. Sie glitzert dem Mond entgegen, wühlt gegen das Land wie eine zähe, kalte Masse, die nichts anderes kennt als sich selbst. Doch dieser winzig kleine Kontrast zwischen Himmel und Wasser erschafft den Horizont, entwirft für unser Auge das Maß die Weite zu dimensionieren, sie zu berechnen, ihr die unaussprechliche Unendlichkeit zu rauben. Der Mond ist nachts der beste Freund des Seefahrers.
Es dauert nicht lange und wir sind durchgefroren. Der Wind bläst mit 20 Knoten achtern, die See hebt die Tangaroa manchmal 4 Meter hoch. Immer wieder rollen wir in mürrischen Bewegungen des Meeres. An ein Schlafen in der Kabine ist nicht zu denken, wieder kauern wir im Cockpit wie schon auf der Fahrt von Dubrovnik. 90 Seemeilen sind unter diesen Umständen eine lange Fahrt, und mitten in den Nacht kämpfen wir mit Übelkeit, einer nach dem anderen, die bis zur Hafeneinfahrt in Valetta wie in einem regelmäßigen Intervall immer wieder hochkommt. Die Wolken verdunkeln sich, in der Ferne zucken Blitze, irgendwo über Malta. Erst im Morgengrauen bringen wir die Segel aus, als wir uns sicher sind, dass der Wind nicht plötzlich zu stark wird. Es ist ein Ratespiel, aber wir raten richtig und segeln bis zur Hafeneinfahrt am frühen Nachmittag. Es ist ein schöner Sonntagnachmittag.