Virhen: Männer-Zimmer
Die Hostel-Belegung in Bansko ist über Nacht auf drei gewachsen. Chris aus Manchester, Jahrgang 1970, lebt in Kiew und macht hier ein paar Tage blau. Wir sind eine witzige Truppe. Alle gleich alt, alle frisch geschieden, alle am Rätseln, wie wir die zweite Hälfte des Lebens angehen werden. Stanislav übt mit uns schon mal ukrainische Morgen-Tee-Zeremonie: eine Scheibe Ginger kauen, dann ein Löffel Honig, danach einen Grünen Tee mit einer halben Zitrone ausgepresst. Das reinigt die Leber, meint Stas, und wir sind bereit für den Vodka. Als Draufgabe gibt’s Sala, ukrainischen Schweinespeck.
Es läuft sich gut im Morgengrauen. Ich nutze eine Piste, um vom Zentrum‘ Bansko in ein Seitental zu gelangen. Es zieht sich. Kilometer lang. Am Nachmittag, als ich die Piste wieder zurück nehme, denke ich mir, so eine flache Piste hat die Welt noch nicht gesehen. Später, als die Piste aufhört, muss ich mir einen Weg durch den Wald tiefer in das Tal suchen. Es ist sehr mühsam, der Schnee ist tief und die Bäume liegen kreuz und quer. Ich brauche für diesen Abschnitt lange und er kostet enorm viel Anstrengung. Ich spure und suche.
Zwei Stunden später habe ich mein Zwischenziel gefunden – die Schutzhütte Virhen. Sie hat einen schönen Sonnenplatz, aber ich frage mich, wann die nächste große Lawine das Häuschen wegputzen wird. Von hier drehe ich gegen den steilen Hang, sehe nun zum ersten Mal den höchsten Berg hier: Virhen (2.915 m). Es ist schon fast Mittag, als ich meine ersten Spitzkehren ansetze, mehr als vier Stunden in den Beinen. Der Schnee ist locker und tief, im Couloir, welches ich mit den Ski am Rücken hochgrabe. Alles geht gut, ich entsteige der Rinne in hügeliges Gelände. Es ist immer noch sehr weit zum Sattel, der nach Südost zum Gipfelgrat übergeht. Hier ist der Schnee brettartig, Erinnerungen an den Lawinenunfall an der Geisterspitze kommen hoch. Es ist seltsam, ich gehe weiter, glaube, das ist hier doch anders.
Wieder am Parkplatz, schaue ich nochmals hoch. Ein langer Weg. Das Couloir war auch in der Abfahrt schön. Ich bin bis zum Sattel hoch, dann habe ich die Skischuhe auf Abfahrt umgestellt. Der Schnee blies mir oben ins Gesicht, die Wechten waren fett und der Hang hatte eine seltsame Neigung. Ich habe mich aus dem Staub gemacht. Unten hatte sich bei der Schutzhütte schon eine Gruppe Zuschauer eingefunden. Sie beobachteten mich, was ich da trieb und ob ich mit einer Lawine herunterkäme. Den Gefallen blieb ich ihnen schuldig und warf dem Halbzug bulgarischer Soldaten ein „Servas!“ entgegen.
Meine Unterschrift auch in den Piri Mountains
Im Auto, da habe ich nur Durst. Ich will gerade losfahren, als ich alte Kästle-Ski an einem Auto angelehnt entdecke. Sie werden gerade mit Fellen präpariert. Ich bleibe stehen, rufe aus dem Fenster. Ein Gespräch entspinnt sich und nach zehn Minuten meint die bulgarische Skitourengeherin, deren Namen ich nicht einmal weiss, dass sie heute Abend im Casino auf mich wartet. Sie weiss noch nicht, dass ich mir aus Casinos nie was gemacht habe. Wenige Minuten später, Stanislav steht schon im Hostel bereit, sein braungebranntes Gesicht spricht Bände: Essen. Jetzt. Wir schlendern hinüber zu unserer bulgarischen Kantine am anderen Flussufer und schaufeln doppelt so viel wie gestern Abend. Wir lehnen uns in unseren Stühlen zurück, satt, und grinsen. Bulgarien hat was.
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Reisen und die Natur, inklusive Skitouren, Bergsteigen und Wanderungen, das sind die Inhalte meines Blogs „Super gsi – Beginner’s Mind“. Mehr dazu hier…