Silvrettahorn: White Wedding


Die Woche ist fünf Tage alt und verrückt wie ein ganzes Leben. Eine Woche mit wunderbaren Freunden, eine Woche draussen, eine Woche in mich hineinschauen. Es kommt nicht von ungefähr, dass an einem Freitag der Ostgrat des Silvrettahorns (3.244 m) als Einladung per SMS am Vorabend eintrudelt. Es dauert keine zwei Sekunden und ich sage zu. Eine weisse Hochzeit, denke ich. Packe nachts den Rucksack, starte um halb fünf aus dem Bett, esse ein Peanutbutter-Banana Sandwich. Der nächste Bissen folgt um 14.30, am Gipfelkreuz.

Ostgrat, Silvrettahorn
der Ostgrat des Silvrettahorn wartet auf die einzigen zwei Besucher heute

Silvretta, Vorarlberg
Magic!

Das Leben ist einfach verrückt, wie dieser Grat. Simon und ich brauchen fast drei Stunden, bis wir von der Bieler Höhe (2.037 m) über das Ochsental und später einen steilen, schneegefüllten Couloir die Schulter des Ostgrats erreichen. Es ist uns klar, wer hier einen Fehler macht, der nimmt den anderen nicht mit. Wir gehen ohne Seil. Gerne hätte ich noch mein zweites Eistool dabei gehabt, aber die Faust ist auch ein recht brauchbarer Anker. Auf allen Vieren kriechen wir durch knietiefen Schnee hinauf, und suchen von hier an permanent den besten Weg über den Grat. Mal links, mal rechts, oder einfach über diese ungetümen Gendarmen drüber. Einige Male habe ich meinen Griff plötzlich in der Hand und einen Moment später unter mir in der Tiefe. Wir zählen diese Überraschungen nicht mehr, es sind zu viele. Irgendwann, als der Ostgrat sich immer weiter in die Höhe schraubt, packen wir doch das Seil aus. Schnee im Fels, Eis dazwischen, Risse, Boulder, Wind, dann wieder Schneefall. Klettern der höchsten Disziplin – Mixed. Mal mit, mal ohne Steigeisen. An heiklen Passagen grabe ich mit bloßen Händen im Schnee nach einem Griff, oder einer Spalte für eine Sicherung. Überall dieses Weiss.
Ostgrat, Silvrettahorn
der untere Teil des Ostgrats – verschneit mit vielen Fallen

Ostgrat, Silvrettahorn
Simon auf dem Weg zum nächsten Gendarm. Einen Riesen haben wir gerade überklettert.

Wir zählen drei Haken in der gesamten Wand, davon zwei alte Rostgurken. Eine alpine Route, in der es kein Nachdenken gibt über die Dinge da unten, nur über das, was hier passiert, direkt vor mir. Wie sichere ich das Problem, das vor mir auftaucht? Wie gehe ich über dieses Hindernis? Vertraue ich dem Henkel? Elf intensive Stunden am Fels, Schnee und Eis, auf dem Gletscher und im Bachbett. Wir brauchen alles – Schlingen, Keile, Friends, Pickel. Als wir endlich den letzten, großen Gendarm überklettern, und Simon die Crux meistert, wir wenige Minuten später am Gipfel stehen, da ziehen Wolken um das Kreuz, es schneit heftig, wir schauen uns an und wissen, der Grat zur Schneeglocke geht sich nicht mehr aus. Wir steigen über den Ochsentaler Gletscher ab, schauen immer wieder hinauf auf diese unwirklichen Türme des Ostgrats.
Piz Buin, Silvretta
Piz Buin und sein Gletscher vom Ostgrat aus gesehen

Ich habe an diesem Tag fast nichts gegessen, aber der Tag ist immer noch so wach. Ich bin immer noch dort oben. Am Schafberg, am Pöngertlekopf, auf den Johannesköpfen, im Ostgrat. Die Woche ist fünf Tage alt, verrückt wie ein ganzes Leben, und das Wochenende wartet.
Silvretta, Österreich
ein wilder Tag in der Silvretta


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