Parque National de Cucoy: Akklimatisation und kolumbianische Freunde


Durchnässt im Sturm das Lager abzubauen ist eine unangenehme Aufgabe. Der Wind zieht uns die letzte Wärme aus dem Körper, der nasse, sandige Untergrund hat sich in Schlamm gewandelt, und wir haben alle Mühe, uns anständig zu benehmen und mit der größtmöglichen Vorsicht und gleichzeitiger Geschwindigkeit alles halbwegs trocken zu verpacken und dann das Zelt zu verstauen. Wir wollen alle Bewegungen möglichst vermeiden, eigentlich ein Irrsinn, aber die Nässe auf der Haut ist ein Hund. Es lässt einen freiwillig erstarren. Aber als der Schritt ins Tal getan ist, kommt wieder Mut in den Körper und der Wille, nicht auf eine Hilfe von oben zu warten, sondern selbst die entscheidenden Aktivitäten zu setzen, diesem quälenden Tag ein vernünftiges Ende zu setzen.

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wieder retour in der Hacienda La Esperanza

Vom Concavito (5.100 m) kamen wir nur sehr langsam herunter. Die Spurensuche retour hat seine Zeit gekostet, die Sicht war sehr schlecht und unsere Hände so gut wie unbrauchbar geworden. Die Skistöcke baumeln vom Handgelenk. Auf dem Rückmarsch merken wir, wie viel Wasser nun vom Bergplateau kommt, dass die Rinnsale zu Bächen angeschwollen sind. Gegenanstiege machen uns fertig, wir müssen immer wieder Halt machen und unsere Oberkörper nach vorne auf die Skistöcke stützen. Als wir über einen Sattel kommen, glauben wir, es ist nun getan. Aber dann sehen wir diesen abschüssigen Geröllhang, den wir am Morgen so flott gequert haben. Nun sind die großen Felsblöcke mit einer zentimeterdicken Schneeschicht bedeckt. Erinnerungen an meine Tour zum Koip Peak kommen hoch. Ich weiss sofort, das wir uns nun die fünffache Zeit kosten, obwohl es abwärts geht. Diese Passage, obwohl nicht exponiert, wird unangenehm. Ein Ausrutscher, und das Bein ist ab oder verkeilt. Wir nehmen die Stöcke aus den Schlaufen. Und bewegen uns im Zeitlupentempo abwärts.

In der Hacienda La Esperanza ist die Welt des Concavito und der Laguna Grande scheinbar so weit weg. Wir stehen im Eingang und wollen nur mehr aus diesen nassen Kleidern, sehnen uns nach einem sturmsicheren Dach. Bevor wie endlich die Dusche aufdrehen können, versorgen wir unsere Ausrüstung. Wir müssen den gesamten Rucksack auspacken, seinen Inhalt ausbreiten um zu trocknen, auch wenn wir wissen, dass auf 3500 Meter Seehöhe nichts trocknen wird, weil es hier schlicht keine Heizung gibt.

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am Aufstiegstag über der Hacienda La Esperanza – strahlendes Wetter

Der Abend nimmt, erwartungsgemäß, ein schönes Ende. Guillermo kocht uns ein feines Abendessen, und seine Freunde, die aus Cucoy hochgekommen sind, unterhalten uns prächtig, auch mit Hochprozentigem. Hier treffen wieder zwei Welten aufeinander. Die ausgerüsteten Europäer, die hier in der Regenzeit zu Fuss die Berge durchstreifen, und die von anderen Sorgen getriebenen Teenager der kolumbianischen Provinz. Der eine arbeitet tagsüber und studiert nachts gleichzeitig. Der andere hat zwei Kinder zu versorgen. Der Dritte jagt einem Mädel nach, der Vierte weiss ich nicht mehr. Ich mache mit dem Koch Geschäfte für die Zukunft.

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langer Anmarsch zur Laguna Grande

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auch hier verschwindet jede Vegetation über 4.500 m Seehöhe

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der Pan de Azucar noch wolkenfrei (re hinten)

Am nächsten Tag bleiben wir auf der Hacienda und nutzen eine Sonnenstunde, um alles zu trocknen und zu säubern. Unsere neuen Freunde servieren kolumbianisches Frühstück (Eiersuppe mit Brot und Kakao), und am frühen Nachmittag einen Mix aus Spaghetti und Pommes. Wir strecken die Füße aus, lockern die steifen Schultern von den langen Tagen des Rucksacktragens. Vor Tagen sind wir von Güican zu Fuss hochgestiegen, mit einem Proviant für sechs Tage. Das wiegt. Zunächst zur Hacienda La Esperanza, dann weiter hoch zu Laguna Grande. Wir hatten ein recht einfaches Ziel: Akklimatisation für die Zeit in Ecuador. Wir campen auf 4.600 m Seehöhe. Wir unternehmen kurze Treks, die am Anfang sehr anstrengend sind. Und auch einen Ausflug zum Pan de Azucar (5.150 m). Über eine lange, sehr flache, plattenartige Felspassage kamen wir zum Gletscherrand. Wir entschieden uns für einen direkten Anstieg, weil die Spalten relativ gut zu sehen waren. Wir legten uns Steigeisen an, Pickel raus. Wir stiegen ein, und der Wind trieb die Wolken in den Hang. Kaum sind wir mehrere Hundert Meter auf dem Gletscher, waren wir blind im Nirgendwo. Wir warteten, diskutierten, und mussten kurz unter dem anvisierten Sattel umdrehen. Wir wussten nicht, wie es hinter dem Sattel aussah, und ohne Sicht war das ein russisches Roulette. Noch war nicht die Zeit dafür. Nicht für dieses Ziel. Welches Ziel ist es das wert?

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jeden Tag das selbe Spiel: im Tagesverlauf rasche Bewölkungszunahme, dann Regen oder Schnee

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am Morgen meist schönes Camp-Leben


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