Mutnovsky: Kamchatka lehrt uns die Weite


Die Augen suchen schon seit einer halben Stunde den Horizont nach der Hütte ab. Wir sind schon Stunden unterwegs, und die mehr als 10 Kilometer Spurarbeit durch tiefen Schnee mit schwerem Rucksack hinterlassen Müdigkeit. Aleksey schaut immer wieder auf sein GPS, denn bei diesen Sichtverhältnissen wissen wir bald nicht mehr, wo oben und wo unten ist. Kamchatka. Mit dem langsam finster werdenden Licht werden die Kontraste der Schneeoberfläche immer schwerer zu lesen, wir tappen bald wie im Nichts. In einer guten Stunde wird es dunkel, und von der Hütte keine Anzeichen. Im Kopf arbeitet jeder schon an den Vorbereitungen für eine Nacht im Zelt. Aber wir werden fündig. Endlich erhebt sich die Hütte in der Ferne, gerade noch identifizieren wir das Ziel in der Landschaft. Riesige Schneemengen, Schneewechten und steile Canyons stehen uns im Weg, und im Lichtkegel unserer Stirnlampen suchen wir uns einen Weg durch dieses Labyrinth in einer immer kälter werdenden Nacht. Die letzte Steigung müssen wir die Ski auf den Rucksack schnallen, so steil und eisig ist es hier. Aleksey lässt den Schlitten zurück.

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die ersten 25 Kilometer legen wir im Schlepptau eines Skidoo zurück

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dann gibt es nur noch uns und die Weite

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die Hütte liegt unterhalb des Mutnovsky Vulkans – in den Wolken in der Bildmitte. Das Wetter am frühen Nachmittag ist prächtig. Das ändert sich rasch.

Die Hütte öffnet sich nicht, innen ist der Vorraum dermaßen mit Schnee aufgefüllt, dass die Türe bombensicher verschlossen ist. Doch eine Nacht im Zelt? Also müssen wir von hinten über ein zerbrochenes Fenster einsteigen, den Raum von innen von Schnee befreien und so den Eingang zu einem Eingang machen. Die Stube wird zur Stube: Schnee überall, die Betten sind keine Betten, der Boden voller Sand, das Dach nach unten beängstigend durchgebogen – da oben auf dem Dachboden liegt wohl noch viel mehr Schnee. Aleksey kehrt nochmals in die Büsche zurück und holt den Schlitten zurück. Ein 12-Stunden-Tag auf den Ski liegt hinter uns. Der auch in der Nacht weiter geht: Kaltes Kribbeln am Hals reisst mich aus den Träumen, die Fantasien nach Martha’s Fisch vom Vorabend sind abrupt zu Ende, ich mache die Stirnlampe an. Schnee liegt in meinem Schlafsack. Auf meinem Kopf, und es kommt noch mehr durch das nicht ganz dichte Fenster oberhalb von mir. Der Sturm der Nacht bläst das kalte Weiss hinein, und ein Blick um mich herum zeigt, dass ich in einer Schneehöhle hause. Die Schuhe sind bis auf den Rand gefüllt, meine Hose zugedeckt. Ich beginne mich zu wehren. Es ist vier Uhr morgens, als ich aus dem Schlafsack kriechen muss. Meine Begleiterin schaut mich groß mit einem „Was isch?“ an. „Nichts, ausser 30 cm Neuschnee in der Hütte.“ Sie kümmert sich um nichts und sucht sich eine noch trockene Ecke in der Stube am kalten, dreckigen Boden, schläft sofort weiter. Ich habe nun eine Stunde des Aufräumens, Trocknens, Fensterabdichtens vor mir. Meine Finger frieren, den ich stopfe die Fensterlücken mit Schneebällen zu. Es funktioniert. Aber der Schnee in der Stube bleibt, und das für die Zeit bis wir wieder die Hütte verlassen. Wir leben in einem Kühlschrank. Dafür aber mit genug Schnee für die Wasserzubereitung. Wir schlafen an diesem Morgen lange, denn ein kurzer Blick am Morgen sagt uns: keine Sicht, nur Schneefall und starker Wind. Das ändert sich alles kurz vor Mittag und wir sind bald frohen Mutes auf einen ersten Ausflug zum Mutnovsky Krater.


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