Sturm-Biwak am Mt. Fuji


Das Zelt bebt und bei manchen Windstößen auch die Erde. So füllt es sich zumindest an, um 02.30 in der Früh. An Schlaf ist nicht zu denken, ich kontrolliere immer wieder die Apsis auf der windzugewandten Seite, wie viel Schnee die Spindrift hinein verfrachtet. Die Befestigungen halten, das Zelt erlebt seine Feuertaufe. Wir sind auf gut 2.300 m Seehöhe, ein Sturm-Biwak, wie wir es gar nicht erwartet hatten.

Der Tag beginnt recht hektisch, mit zwei Riesenrucksäcken und einem Skibag durch die Tokyo‚ter Rushhour. In der U-Bahn bin ich dann gefordert. Alles geht gut, wir finden unseren Bus nach Kawaguchiko, recht nah am Fuß des Mt. Fuji (3.776 m), Japans heiligem und höchsten Berg. Ich staune über die gebirgige Gegend hier. Und dem vielen Schnee. Eigentlich recht unüblich, heuer hat es aber ungewöhnlich viel. Wir schleppen unser Zeugs zum Guesthouse, packen alles für den Berg um, lassen den Rest in der Gepäckverwahrung auf. Die Dame, die uns das Taxi ruft, meint noch, die Wege sind alle gesperrt. Ich meine, wir kommen da rauf, keine Sorge. Sie wünscht uns Glück, ich verspreche ihr Bilder vom Berg. So startet der Nachmittag mit schwerem Gepäck von Nakano Chaya (ca. 1.000 m) am Yoshida Trail. Der erste Teil ist einfach, wir folgen der schlecht geräumten Bergstraße nach Umagaeshi. Ab hier wird’s dann eine vollwertige Skitour, wir folgend einigen Fußstapfen am Yoshida Trail, wenig steil, über gut drei Stunden bis nach Sato Goya oberhalb der 5th Station. Und hier liegen wir nun, im Sturm, im Zelt.

fuji
von so viel Schnee kann man nur träumen, nicht nur hier am Mt. Fuji

fuji
heftige Windfahnen, und doch schon in Sichtweite, der Mt. Fuji

Wir schlafen nicht viel, erst spät am Morgen. Aber da wird’s schon hell, und es bläst immer noch wie der Teufel. Wie muss es erst oben abgehen? Ich gucke raus, blauer Himmel, ich sehe den Gipfel, viele Windfahnen, und Kawaguchiko unter uns unter einer dicken Wolkendecke. Die üblichen Diskussionen im Basecamp folgen. Rauf oder runter? Zelt abbauen oder stehen lassen. Wir gehen hinauf, lassen das Zelt stehen. Die Freude überwiegt, das Lawinenrisiko ist minimal, trotz des heftigen Windes. Es ist bitterkalt. Später am höchsten Punkt wird meine Begleiterin ihre Finger kaum mehr spüren oder zu etwas nutzen. Der Windchill beträgt am tiefsten Punkt -27° C. Doch der Aufstieg verläuft anfangs noch recht angenehm und flott. Wir gewinnen rasch an Höhe, suchen bald einen eigenen Weg, um nicht den verblasenen und vereisten Yashido-Trail nutzen zu müssen. Im Gelände, das ist für uns ein Heimspiel. Wie gehen wir rauf, wo legen wir unsere Spur an? Bald stehen wir vor einem riesigen Hang, der direkt unter den Kraterring führt. Da müssen wir hoch.

fuji
das Gelände ist bestens für Skitouren geeignet

Es läuft alles gut, doch die Windstärke nimmt zu. Es sind Böen, die uns nach Luft schnappen lassen. Sturmmaske, Skibrille, Kapuze, unsere dicksten Handschuhe, alles bringen wir nun zum Einsatz. Irgendwann beginnen die Zehen kalt zu werden, dann werden sie taub und dick. Wir sind rund 2/3 dieses Riesenhanges hoch gekommen, da will ein Fell nicht mehr. Bei dieser Kälte kann sie es nicht mehr anbringen. Wir beschließen, mit den Ski am Rucksack weiterzugehen. Wir haben noch einige hundert Höhenmeter zu gehen. Im tiefen Schnee des Mount Fuji wird das bald zur Tortur. Wir müssen uns alle hundert Schritte an der Führungsarbeit abwechseln, so fertig fallen wir auf unsere Knie. Das Schwierigste ist jedoch der Wind, den wir bald als Sturm empfinden. Bei jeder Böe ducken wir uns flach in den Schnee, es reißt uns fast von den Füßen.

fuji
die Tortur: im Sturm zu Fuß zum Kraterrand

Gut zweihundert Höhenmeter unter dem Kraterrand wechseln wir aus dem Hang zum Yoshida-Trail in flacheres, aber windanfälligeres Gelände. Am Goraikokan ist Skidepot. Macht keinen Sinn mehr, die Dinger und alles andere hochzuschleppen. Das Anlegen der Steigeisen macht meine Hände bald funktionsunfähig, hier mache ich das letzte Foto. Erst bei der Abfahrt sind sie wieder so weit zu gebrauchen, dass ich den Foto-Apparat wieder bedienen kann. Der Aufstieg zum Kraterrand kostet nun alles, was wir noch haben, den Pickel lassen wir im Rucksack, steigen nur mit den Stöcken hoch. Wir können uns oben kaum halten. Wie an einem Tellerrand liegend schauen wir zum höchsten Punkt auf der anderen Seite des Rings, drehen uns um, und wissen, es muss nach unten gehen, und zwar sofort. Der Weg hinunter ist weniger beschwerlich, aber tückisch. Auch das Anlegen der Ski bei diesem Wind wird zur Kraftprobe. Letztlich geht es auf eine Abfahrt mit fast 3.000 m Höhenunterschied. Zunächst im Sturm, der uns die Sicht nimmt und man den Schnee unter sich nicht mehr wahr nimmt. Alles bewegt sich, der Schnee, die Ski, die Umwelt. Fast wie in einem Schneebrett. Aber der Schnee ist gut, und die Abfahrt ist Konditionssache wie Genuss zu gleich.

fuji
irre lange Abfahrt

Die Tour ist einsam. Einen einzigen Berggänger treffen wir am Morgen. Und irgendjemand hinterlässt uns am Zelt zwei Bierdosen mit einem Zettel in Japanisch. Müssen wir noch entziffern. Aber das Bier ging runter wie nichts. Auch das Zelt war rasch abgebaut, der Rucksack neu bepackt und dann wild durch den Wald bis zum Ausgangspunkt zurück. Wir fahren noch ein paar Hundert Meter neben der Straße, dann starten wir einen langen Fußmarsch bis zur Hauptstraße und hoffentlich einem Bus. Soweit kommt es dann doch nicht. Meine Anhalterversuche gehen auf, ein Paar nimmt uns bis zum Bahnhof in Kawaguchiko mit.


Ring of Fire T-Shirts


Über dieses Blog

„Super gsi – Beginner’s Mind“ berichtet über Mark’s Reisen und Outdoor-Aktivitäten, meist Skitouren, Bergsteigen und Bike-Touren. Mehr dazu hier…


Leave the first comment

Teilen
Veröffentlicht
Kategorien
Tags
Ring of Fire T-Shirts
Über dieses Blog

Reisen und die Natur, inklusive Skitouren, Bergsteigen und Wanderungen, das sind die Inhalte meines Blogs „Super gsi – Beginner’s Mind“. Mehr dazu hier…