Sarotlaspitzen: Einsame Seelen


Ich kann mich an den Morgen nicht mehr genau erinnern, weiss nur, dass der Kaffee seine Wirkung tat und ich wenig essen konnte. Das Aufstehen fiel nicht leicht, Nebel und Dunkelheit da draussen, mit Rucksack, Ski und den Rest hinaus stolpernd, das Auto setzt sich in Bewegung, es geht ins Montafon. Ein ruhiger Sonntag für mich. Ski ausladen, Auto absperren, sich durch Tschagguns (692 m) ins Gampadelstal wurschteln – durch Hecken, über steile Wiesen, Ski geschultert durch Straßen, die noch keinen Schnee bieten. Es ist ruhig, nur ein Hund bellt.

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Nur die Spur zeugt hier von meiner Existenz

Die Ruhe bleibt, den ganzen Tag. Die Tschaggunser Mittagsspitze schaut auf mich herab. Ganz allein ziehe ich eine Spur, zunächst recht einfach entlang des Güterwegs bis zum Stausee Fischkaller (1.572 m). Es ist so leise, dass nicht einmal die Gemsen, die zum Fressen in die Niederungen kommen, mich wahrnehmen. Ich bleibe drei Meter hinter ihnen stehen, schaue, pfeiffe, sie schauen, sie pfeiffen, und weg sind sie. Der Schnee wird nun tiefer, und an der Engstelle des Tilisunabachs wähle ich den weiten Umweg des Fahrwegs – die Alternative und die eigentliche Route scheint mir nicht gangbar. Wie ich später während der Abfahrt feststelle, müsste es mit etwas Murcksen gehen. Man spart sich jedenfalls eine Menge Meter. Denn die langen Serpentinen sind flach und enden in einem kleinen Tunnel. Einige Meter sind stark eingeweht, der Weg wie verschwunden. Entlang der Südwand des Tilisuna Seehorns schleiche ich mich zur Tilisuna Alpe (1.996 m) für eine willkommene, kurze Rast. Tee, Früchtebrot, Mandarine. Das ist es, und mehr braucht’s nicht. Was folgt ist ein Labyrinth aus Kuppeln, Gräben, Durchgängen und Steilrinnen. Ich nehme sie alle, immer das Ziel im Auge, verliere hin und wieder etwas Höhe, aber letztlich biege ich in das letzte Seitental nach Süden ein, sehe meinen letzten Anstieg, der sich nun in der Sonne von seiner besten Seite zeigt. Der Plasseggenpass (2.354 m) liegt westlich nun unter mir, als ich die letzten Meter erklimme (ca. 2.530 m) und ein Sonnenplätzchen aussuche.

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Blick auf die Weißplatte und Sulzfluh (rechts)

In aller Ruhe entwickelt sich diese Gipfelrast. Mein Blick geht in die Ferne, ich versuche etwas zu hören, aber da ist nichts, außer dem Strohhalm am Boden, das der Wind auf dem Eis dreht. Ich höre einen Strohhalm. Und später, als die Stille immer gewaltiger wird, bekommen gar Gedanken Geräuschcharakter. Es ist völliger Stillstand hier oben, diese Berge haben die Einsamkeit gepachtet, sind einsame Seelen und ich geselle mich zu ihnen. Ich staune, dass es in Vorarlberg solche Plätze gibt und schnalle meine Schischuhe für die Abfahrt zu. Es geht abwärts, schnell, der Schnee trägt gut. Pulver, hab ich das schon erwähnt?   Die Einsamkeit ist vollkommen hier. Ich und das Bergpanorama, ich lasse die Ski laufen; nehme die Stöcke in eine Hand, schaue mich um, während die Ski mich nach unten chauffieren. Ich bin ein Teil dieser Berge, zumindest für diese Stunden, jetzt.

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Ein Blick für die Ewigkeit – rechts ins Valzifenztal, links ins Vergaldatal



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