Gemsplanggenstock: 14 Seillängen für einen perfekten Wochenabschluss


Vom Bergseeschijen kommen wir rechtzeitig (Parkuhr) ins Tal hinunter, essen einen Happen, packen unsere Rucksäcke um (denn hier im Tal ist nix mit Biwak) und verlegen unser Fahrzeug weiter Richtung Göschenen. Es geht wieder weiter, und wir müssen wieder hoch, gute 1.000 Höhenmeter zur Salbithütte (2.105 m). Der Weg braucht gute 2 Stunden, er ist steil, aber sehr gut begehbar. Uns freuen die vielen Bäche besonders, am Nachmittag ist es schwül-heiss, da können wir nicht genug oft den Kopf hineinstecken.

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Salbitschijen (links in der Sonne), Gemsplanggenstock (rechts davon, Spitze bereits in der Sonne)

Wir passieren die Baumgrenze. Das offene Weideland mit den vielen, runden Grantiblöcken war schon auf dem Weg zur Bergseehütte ein Highlight für die Augen. Die Salbithütte liegt schön über dem Tal, mit Blick auf seinen „Hauptgipfel“, den Salbitschijen. An einem Samstag Nachmittag ist die Hütte aber hoffnungslos überlaufen, zumal erst jetzt die Wander- und Klettersaison wirklich beginnt – der Schnee ist immer noch massig auf hohen Wegen und Abstiegen. Wir bekommen also kein Lager, Biwak geht auch nicht, da ist der Dachstuhl der Hütte gerade gut genug – Matratze und Decke und gut ist. Den Raum, der fast an ein Biwak erinnert, teilen wir uns spät abends mit sieben anderen Gestrandeten, plus Hauskatze. Wir schleichen also am nächsten Morgen um 06.00 aus dem Haus, hinaus zum Gemsplanggenstock (2.752 m).

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Während sich am Süd- und Ostgrat des Salbitschijen mehrere Seilschaften das Vorwärtskommen gegenseitig schwierig machen, sind wir auf dieser neuen Route (offiziell „Hüttengrat“, inoffiziell „Drecksprojekt No. 2“) so allein wie man zu zweit nur sein kann, unterwegs. Die einzelnen Seillängen sind alle irgendwo bei 45 m, das heißt, man kann sich auf ordentlich Seilzug einstellen, wenn man nicht gelegentlich die Zwischensicherungen verlängert. Die Schwierigkeiten liegen eigentlich bei allen Passagen irgendwo bei 4, einmal etwas höher (UIAA). Die Route wird auch als „ideale Eingewöhnungsroute für alpine Neulinge“ beschrieben. Zu leicht ist auch nicht gut, und damit dies wirklich als Drecksprojekt durchgehen kann, wird der Rucksack noch schwerer gemacht und die Alpinstiefel bleiben dran, die Kletterfinken harren derweil im Rucksack aus.

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am Gipfelgrat des Gemsplanggenstocks

Der Granit ist wieder einmal schön zu greifen, auch wenn die Flechten hier immer wieder ein Abrutschen anbieten. Der Grat ist nur so von Schuppen überzogen, da ist man auch mit den Alpinstiefeln gut dabei: die Finger in die Risse und schon geht’s weiter. Am Ende des Tages zeigen meine Unterarme und Hände, dass ich im Granit unterwegs war: rot, zerkratzt, blutig. Schön. Wir brauchen am Ende doch etwas mehr als vier Stunden, und während Martin langsam in das Seil- und Standhandling hinein kommt, türmen sich schon über den Salbitschijen die Cumulus-Wolken. Es bleibt aber noch genug Zeit für eine Gipfeljause, dann ein kleines Abklettern, eine Gratwanderung und letztlich ein Abseil-Akt zum steilen Couloir und Normalweg vom Salbitschijen. Dieser ist noch von Schnee ausgefüllt und macht, nicht jedem, Spaß. Solche Schneefelder (und dieses hier ist besonders lang und steil) passiert am besten, in dem man es abfährt und nicht ewig und langsam mit Pickel in der Hand Stufen schlägt. Auf diese Art verbringen Seilschaften eine gute Stunde in einer Steinschlag-gefährdeten Rinne. Es ist wie in einem Geröllfeld: hinunterlaufen, dabei die Fersen in die Steine drücken und Meter-weise „fahren“ ist wahrlich ökonomischer als jeden Schritt zu sondieren. Wir fahren also dieses sehr lange Schneefeld ab, erreichen die Salbithütte, nur um kurz unser Abendessen und Badehose einzupacken. Hinter dem Haus ist nicht unweit ein kleiner Bergsee…

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der letzte Stand, dann über den Grat nach NW

Auch diesen See haben wir für uns allein, das Wasser ist herrlich kalt, da schmeckt das Chicken Curry dem Martin besonders. Wir bleiben lange am See, auf der Hütte gibt es für uns nicht viel zu tun, auch wenn die Hüttenmädels ein angenehmer Kontrast zum Bergsee-Hüttenwirt sind. Diesmal schlafen wir im echten Lager, hören Radio, lesen, planen den Wochenbeginn, der am nächsten Morgen gemächlich beginnt: eine Tasse Kaffee bei Sonnenschein. Das Meteo verspricht eine hohe Gewitterneigung ab dem Nachmittag, deshalb lassen wir eine längere Grattour sein und werfen uns in die Routen des nächst-gelegenen Klettergartens. Ein feiner Wochenbeginn, denke ich mir, hier oben alleine herumzuturnen, und auch ein guter Abschluss dieser vier Tage im Göschenen Tal: neben dem Klettern bauen wir zum Üben noch ein paar Stände mit mobilen Sicherungsmitteln. Der Weg zurück ins Tal ist kaum erwähnenswert (rund eine Stunde), außer dass uns schließlich am Oberalppass das vorhergesagte Gewitter einholt. Ich schaue zurück. Dieses Tal habe ich hoffentlich noch nicht das letzte Mal besucht.



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