Durch die Bale Mountains


Der Blick reicht weit über das Hochplateau, die Sicht ist frei, ohne Wälder, ohne Wolken und Nebel. Das Buschwerk aus kniehohem, weißen Gestrüpp bedeckt den Boden, und im ersten Augenblick meinen wir, es liege Schnee auf dieser Ebene. Ein Bussard kreist über uns, Wühlmäuse huschen zwischen ihren Erdlöchern, und in der Ferne zieht eine kleine Viehherde mit zwei Nomadenjungen vorbei.

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Das ‚Tiefland‘ auf 3.000 m Seehöhe

Im Bale Mountains Nationalpark ist Ruhe garantiert. Seit Tagen marschieren wir mit Muhammed, Kadi und Tamam und zwei Pferden entlang von Canyons, Felswänden, kleinen Seen und sanften Bergen über grüne Wiesen und baumlose Ebenen ohne auf andere Wandergruppen zu treffen. Diese Ruhe ist ein erholsamer Kontrast zur Geschäftigkeit und Bettlerei, zum Staub und Wirbel in den Straßen von Shashemene und Addis Ababa. Wir gehen nun seit zwei Stunden über das Hochplateau, sehen in der Ferne Tullu Deemtu, den höchsten Gipfel dieser Gegend hier (4.377 m). Unser Schritt ist zügig, wir haben uns auf die 4.000 m Seehöhe gut angepasst. Während die Pferde mit Kadi und Tamam einen kürzeren, direkten Weg zum nächsten Nachtlager einschlagen, sucht Muhammed mit uns nach äthiopischen Wölfen.

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Bale Mountains, das heißt vor allem Weite

Es dauert nicht lange und wir entdecken ein Exemplar dieser Schakal-großen Tiere in der Ferne. Das Jaulen ist doch etwas unterschiedlich zu unserem Wolf, und wir sehen dem Tier noch minutenlang nach. Wir entschließen uns, den Tullu Deemtu auf dem Weg zum Nachtlager zu besteigen. Mohammed ist im ersten Moment nicht begeistert, meint dieser wäre noch Kilometer-weit entfernt. Wir lassen uns nicht abhalten, vereinbaren einen Treffpunkt, sobald wir vom Gipfel retour kommen, und marschieren zielstrebig los. Eine gute Stunde später stehen wir schon oben, haben einen schönen Blick über diesen Teil des Parks, verlassen den Gipfel und die benachbarte Wetterstation aber bald, um Muhammed nicht lange warten zu lassen.

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Gestrüpp-Vegetation auf dem Weg zum Tullu Deemtu

Vereinzelte, Palmen-artige Pflanzen und viele kleine Büsche bilden hier die Vegetation, durch die wir steil vom Berg absteigen. Das Wasser versickert schnell in diesen porösen Steinböden, und es fällt nicht auf, dass es gestern die ganze Nacht geregnet hat. Es war eine unruhige Nacht gewesen. Um halb drei morgens weckt uns ein lautes Grunzen nebst der Zeltwand. Ich denke zunächst an ein Warzenschwein, aber dann wir aus dem Grunzen ein lautes, aggressives Knurren. Wir beide liegen wach und etwas ratlos und eingeschüchtert in unseren Schlafsäcken, während draußen das Tier um unser Zelt schleicht. Ich habe keinen Bock meinen Kopf aus dem Zelt zu strecken und nachzusehen. Nach einer langen, halben Stunde kehrt wieder Ruhe ein und erleichtert sinken wir sofort wieder in den Schlaf.

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Einer der Lager, dieser bei den Vulkansteinen

Am Morgen danach meint Mohammed beim Frühstück in einer Lehmhütte, dass sich hier hin und wieder wilde Hunde herumtreiben. Leoparden gäbe es auch hier, diese seien aber eher scheu. Ich nehme noch einen Schluck Tee und gehe zurück zum Zelt, um es besser im Sonnenlicht zu platzieren und damit schneller zu trocknen. Beim Marsch vom Tullu Deemtu muss ich mit einem Schmunzeln an dieses Erlebnis denken. Doch nach einigen Minuten weicht mein Grinsen einem neugierigen, fragenden Blick: Wo steckt Muhammed?

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tolle Boulder, viele Täler

Wir stehen am vereinbarten Punkt und sind allein. Wir warten, Wolken ziehen auf, Raben verflüchtigen sich. Der Platz ist die Ruhe selbst, die nun aber bedrückend wirkt. Wir besteigen ein paar Boulder, um besser das Gelände überblicken zu können. Nichts. Wir rekonstruieren die Worte unseres Guides, wissen, dass das nächtliche Lager an einem schwarzen See liegen soll. Wir sehen einen, bewegen uns darauf zu, nichts. Keine Pferde, keine Hütten, kein Mohammed. Nun beginnen wir die Gegend systematisch in Kreisen abzuwandern, gelangen zu anderen Seen, aber auch diese sind verwaist. Wir entdecken ausgetrocknete Seen, Sümpfe, Steilwände, Höhlen, weitere weite Ebenen.

Die Zeit läuft, wir sind bereits drei Stunden auf der Suche, immer noch kein Zeichen von unserem Führer oder einem Lager. Langsam lösen wir uns von der Vorstellung, Mohammed heute noch irgendwo aufzufinden. Wer weiss, wo der hingelaufen ist. Oder wo er auf uns wartet. Der Himmel ist nun dicht bewölkt, es wird irgendwann zu regnen beginnen. In Gedanken gehe ich den Inhalt meines Rucksacks durch und bin froh, dass ich das Meiste meiner Ausrüstung nicht auf die Pferde geschnallt habe. Wasser, Schlafsack, Stirnlampe, Ersatzwäsche, Trillerpfeiffe und Kompass. Und zwei Riegel, sie hat noch einen Apfel. Gut genug für eine Nacht in einem Notbiwak oder einer Nomadenhütte, ausreichend für einen Zwei-Tages Marsch über die Berge zur Hauptstraße und damit retour zum Eingang des Nationalparks. Wir suchen den Horizont nach Zeichen ab, Rauch vielleicht, oder gar unsere Pferdeführer, die sich doch schon längst auf die Suche nach uns gemacht haben müssten. In der Tat sehe ich einen Reiter in wenigen Kilometern Entfernung, und nicht unweit davon zwei Hütten. Wir schauen uns an, atmen durch und laufen darauf zu.

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super gsi!

Doch der Reiter entpuppt sich als ein zehnjähriger Nomadenjunge, der nicht unsere Sprache spricht und unsere Begleitmannschaft nicht kennt. Ich versuche es mit Pantomine, aber wie erklärt man, dass wir auf der Suche nach einem schwarzen See sind, wo unsere Freunde lagern? Ich zeige auf einen Fluss, bilde mit meinen Armen einen Kreis vor meiner Brust. Der Junge versteht, aber wir sind uns nicht sicher, ob er das tut und falls doch, zu welchem See er uns bringen wird. Er deutet ihm zu folgen, und wir haben gar keine echte Wahl. Der Marsch dauert mehr als eine Stunde, über einen Pass und zwei Anhöhen, bevor wir tatsächlich auf einen See herunterblicken, der von Steilwänden eingekesselt ist. An seinen Ufern ist nur Gras, aber keine Pferde. Es ist nun dunkel geworden, und ich weiss, wir müssen uns nun ein Lager für die Nacht organisieren. Wieder deute ich ohne Worte, ob es denn hier irgendwo eine Hütte gäbe. Der Junge versteht auf Anhieb. Ja, unter uns am Abhang, den wir nicht einsehen können. Ok, wenigstens etwas, eine Nacht bei Nomaden und Ziegen. Wir verabschieden uns von dem Jungen ohne seinen Namen zu kennen, bedanken uns mit unserem verbliebenen Apfel und beginnen mit Abstieg zum See. Was mag diese Nacht bringen?

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der schwarze See

Die Frage erledigt sich binnen weniger Minuten. Zuerst kommen die Hütten ins Blickfeld. Dann plötzlich ein Zelt, dass wir nicht kennen. Aber das ist ein Trekking-Zelt! Zumindest werden wir Informationen einholen können, wie wir den Nationalpark zu durchqueren haben. Und plötztlich steht Kadi mit seinem Pferd vor der Hütte und wir fallen ihm in den Arm. Er ist leicht verwundert, und wir erklären ihm in wenigen Worten, dass wir Mohammed verloren haben. Ohne viel Aufhebens steigt er auf sein Pferd und reitet in die bevorstehende Nacht, um unseren Führer aufzusammeln.

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Mohammed (li), dann Kadi und Tamam

Zwei Tage später stehen wir in Asela unter der ersten heißen Dusche seit 8 Tagen. Werden endlich die Flöhe los, die uns seit der ersten Nacht in der Dinsho Lodge geplagt haben. Und wir gehen nicht auf die Straße, wollen die Hektik heute nicht mehr ertragen, die draußen herrscht. Die Berge im Bale Mts Nationalpark haben uns gut getan, und doch ist alles schnell vergangen. Die letzten Stunden Marsch, das letzte Lagerfeuerfrühstück, heißer Tee der leicht nach Ruß schmeckt und unsere vorletzte Portion Expeditionsfrühstück. Mohammed führte uns bis zum Bus in Dinsho, wir sagten Ciao und vereinbarten in Kontakt zu bleiben. Im Hotel in Asela läuft zwar der Fernseher, aber wir schauen uns ein paar Mal die Fotos auf dem Display unserer Kamera an. Wir wollen die Hochebene wieder und wieder erleben. Die Reise geht aber ostwärts, langsam dem Golf von Aden entgegen.


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