Honduras – ein „failed state“?


Auf unserer Reise sprachen wir mit Menschen in Honduras, lasen die nationalen Tageszeitungen, sahen die laufende Berichterstattung im Fernsehen. In den Lokalnachrichten dominieren Berichte über Morde, Überfälle und Beschuldigungen in einem Ausmaß, wie bei uns Nachrichten über Politik, Sport, Kultur und das Wetter zusammen. Es ist ein Klima der Gewalt, das hier herrscht. Korrekterweise muss man sagen, dass die Mordproblematik im Wesentlichen die Siedlungsgebiete um Tegucigalpa und San Pedro Sula betrifft. Dennoch, über die Medien wird das Land wie elektrisiert, ständig bombardiert von abscheulichen Verbrechen. Die Menschen rufen nach dem Staat, aber dieser ist oft selbst in diverse Machenschaften involviert.

„Failed states“ wurden in den 90er Jahren nach dem Zusammenbruch der UdSSR Teil des politischen Diskurses. Die US-Amerikanische Politikerklasse beschäftigte sich zunehmend mit dem Bedrohungspotential von Staaten, die per Definition eigentlich keine mehr waren. Mit den Anschlägen von September 2001 beherrschte die Hypothese von der ausgehenden Bedrohung der westlichen Welt durch failed states die Außen- und Sicherheitspolitik der USA, legitimierte die Kriege im Irak und in Afghanistan und alle Einsätze, die in anderen Ländern dieses Jahrzehnts geführt wurden.

Ein „failed state“ wird als ein Raum bezeichnet, über den der Staat keine Kontrolle hat. Es kann Gesetze nicht durchsetzen, Sicherheit nicht gewährleisten, grundlegende Menschenrechte (Arbeit, Gesundheit, Wohnraum, etc) nicht sichern. Ein Failed State Index (FSI) versucht anhand von Indikatoren, eine Liste von „verlorenen“ Staaten und die Möglichkeit, ein solcher zu werden, abzubilden.

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Der Ursprung dieses Diskurses entstammt der Frage nach der realen Bedrohungslage für die USA. Dadurch haben es gewissen Länder leichter, im FSI ganz vorne zu stehen. Wenig überraschend sind es Somalia, der Tschad und der Sudan, die das Ranking anführen. Aber was ist mit Mittelamerika? Im FSI sind Kolumbien, Bolivien, Guatemala und Nicaragua als Staaten Lateinamerikas aufgeführt, die ein besonderes Risiko bergen, zu kollabieren. Wenn auch viele von uns nicht einsehbare Indikatoren in die Errechnung des Index einfließen (wie z.B. Flüchtlinge, demographischer Druck), hatten wir einen anderen Eindruck von der Region.

Honduras ist ein verunsichertes Land. Seine politische Geschichte wurde seit je her von amerikanischen Großunternehmen beherrscht, die sich Parteien bedienten, um Einfluss auf Arbeits-, Steuer- und Handelsgesetzgebung zu erhalten. Honduras war auch stets ein loyaler Verbündeter der USA, um seinen Einfluss auf die Region auszuüben. Besonders sichtbar wurde dies in der Ausbildung und Ausstattung der Contras-Verbände, die gegen das ehemalige sandinistische Nicaragua in einem Untergrundkrieg im Auftrag der CIA operierten. Auch im Krieg gegen die Drogen spielt Honduras für die USA eine Rolle, aber keine so große wie Mexiko, Panama oder Costa Rica. Im Grunde ist die große finanzielle Abhängigkeit von den USA das Hauptproblem in Honduras, eine eigene sichere Nation aufzubauen. Denn nur solange man im Sinne der USA agiert, kann man auf entsprechende finanzielle Unterstützung hoffen.

Das ist aber seit den politischen Wirren um die Absetzung von Präsident Zelaya, die in den westlichen Medien auch als „Putsch“ bezeichnet wurde, vorbei. Die Regierung Obama hat dem Land den Rücken zugekehrt. Gerade im Kampf gegen den Drogenhandel, der Unterwanderung der honduranischen Gesellschaft mit Drogengeld, Korruption und Verfall der Staatsautorität wäre Hilfe notwendig. Im Dezember 2011 hat die Gewaltwelle einen neuen Höhepunkt erreicht, als ein Gerichtssachverständiger auf dem Weg zum Gericht von Kugeln durchsiebt wurde. Sein Bericht an das Gericht bestätigte, dass in mehreren vorangegangen Mordfällen Polizeiwaffen involviert waren. Journalisten, Rechtsanwälte, Menschenrechtsaktivisten stehen auf der Todesliste der organisierten Kriminalität wie Todesschwadronen gleichermaßen.

Das Töten reduziert sich aber nicht auf diesen Kreis. Menschen, die ihren täglichen, winzigen Lebensunterhalt in San Pedro Sula und Tegucigalpa, und eventuell auf vielen anderen, mir unbekannten Orten, verdienen, müssen an die lokalen Gangs eine Kriegssteuer bezahlen: impuestos de guerra. Taxilenker, Omnibusfahrer oder Geschäftsleute zahlen Schutzgelder, oder werden hingerichtet. Täglich kommen zwischen zehn und zwanzig Menschen in diesem Zusammenhang ums Leben, die Mordrate ist eine der höchsten der Welt. Die Tageszeitungen wie die Prensa berichten in jeder Ausgabe darüber.

Wenn Menschen vor der eigenen Haustüre erstochen oder erschossen zusammenbrechen, was würden wir tun? Die meisten würden wegziehen, und das ist auch die Option, die diejenigen favorisieren, die irgendwo anders Verwandte haben, um erstmal unterzukommen und sich wieder eine neue Existenz aufzubauen. Die anderen, die zurückbleiben, gehen bei Dunkelheit nicht mehr auf die Straße, sperren sich in ihren Häusern ein und hoffen, dass sich alles wieder zum Guten wendet. Man ist froh, wenn man in San Pedro Sula nur auf Durchreise ist. Und man fühlt sich schuldig, wenn man auf Roatan in den Urlaub fliegen kann.


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