West Highland Way: 152 km in 4 Tagen


Sitze am Fenster meines Hostels mit dem Blick auf die Kirche von Fort William, die Füße barfuß, schmerzend und ausgestreckt, rechts die Schuhe am Heizkörper trocknend, links mein Einkauf, von dem ich ständig esse. Irgendwie ist das alles surreal hier, das trockene, warme Zimmer, die frischen Sachen am Leib, Strom, vor vier Tagen noch in Glasgow gewesen. 152 km klingen nach viel und nicht viel, man kann sich schwer etwas darunter vorstellen, nun aber, nach diesen vier Tagen in den schottischen Highlands, weiss ich und besonders meine Füße, was 152 km, Dauerregen und mehr als 20kg Rucksack bedeuten.

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flache Landschaft beim Craigallian Loch…

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… um beim Loch Lomond dramatisch zu wechseln

Ich dachte, den West Highland Way machst‘ du mit links. In vier Tagen (die Etappenlängen hatte ich nach Wasserstellen so eingeteilt: 44km – 50km – 35km – 23km). Die relativ leichte Ausrüstung (1 Satz Wechselwäsche, ein leichter Schlafsack, Zelt, ein Esbit-Kocher und leicht-gewichtiger Trekking-Proviant) wurde durch Extra-Wünsche sabotiert: Foto-Ausrüstung, Mac-Computer (um an meiner Diss weiterzuarbeiten) samt Zubehör, und auch noch Kletterschuhe samt Magnesium (ha, dachte, in Schottland gäbe es Sonne). Das sollte sich schwer rächen. Mit der täglichen 3 Liter Wasserration hatte ich einiges zu tragen, und schon am ersten Tag schob ich meine Wollmütze unter das T-Shirt als Polsterung der Tragriemen.

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I love my Zeltplatz!

Den genauen Wegverlauf zu beschreiben lohnt sich nicht, der ist an anderer Stelle ausführlich dargelegt. Eher will ich meine Eindrücke und Erfahrungen zusammenfassen, und vielleicht den einen oder anderen Tipp weitergeben.

West Highland Way
Die Strecke im Überblick

Der erste Tipp betrifft das Kartenmaterial. Auch wenn der West Highland Way durchgehend markiert ist, macht eine Karte wie die Route Map ‚West Highland Way XT40‘ für mich aus verschiedenen Gründen Sinn:

  1. Nicht überall existiert eine Weg-Markierung
  2. Orte, die man passiert, werden mit einer Detailzeichnung abgebildet
  3. Man kennt seine eigene Position recht genau
  4. Diese Karte eignet sich hervorragend für die Planung, da die Route mit einem Kilometerzähler versehen ist sowie viele Infos wie Einkaufsmöglichkeiten, Wasserstellen, Campingplätze etc eingezeichnet sind.
  5. Es handelt sich um eine topographische Karte mit allen Details wie Höhenlinien und Vegetationsflächen

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Loch Tulla am Morgen

Diese Karte wurde für mich zu einem wahren Begleiter und in schwierigen Stunden eine Art Hoffnungsträger („Wie weit ist es noch?“). Ja, das führt mich zu einem zweiten Punkt, ob man den Weg alleine oder mit anderen gemeinsam beschreiten sollte. Darauf habe ich keine Antwort. Einsam fühlte ich mich selten, dazu war der Kampf mit Wind und Wetter einfach zu präsent. Die Einsamkeit kommt meist erst im Zelt, aber auch diese Zeit war vom rationalen Handeln (trocknen und wärmen, essen und Füße pflegen, Wasser besorgen, …) geprägt. Danach schlief ich sofort ein, wachte erst zwischen 04.00 und 05.00 auf, machte mich langsam startklar, schlüpfte in die nach dem ersten Tag nassen Schuhe, packte meine Sachen in den Rucksack, dann im Regen noch das Zelt…. Wind und Regen waren meine Begleiter, 24 Stunden lang. Wenn man also auf etwas schauen sollte, dann absolut wasserdichte Schuhe (Tipp Nummer 2). Meine „Goretex“ Wanderschuhe waren dem schottischen Wetter nicht gewachsen. Und mit der Nässe im Schuh kommt nichts anderes als Blasen und Blasen und Blasen… und der Tipp Nummer 3: immer genug Blasenpflaster mitnehmen (wiegt nichts, aber so wertvoll!). Und mit genug meine ich genug: zehn Stück, besser doppelt so viel.

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Mit 1022 m auch imposant: Buachaille Etive Mor

Gegen geschwollene Fußknochen (wieviele hat der Mensch eigentlich?) helfen Pflaster natürlich nichts. Entweder weniger Gepäck, besser gedämpfte Schuhe oder kürzere Marschzeiten. Ich habe gegen alle drei Punkte verstoßen, und gebüßt. Die letzten Kilometer nach Fort William ging ich dank meiner Teleskopstöcke (Tipp Nummer 4) wie auf Krücken, Tempo ungefähr 2 km/h. Grausam. Am ersten Tag ging ich noch 6 km/h. Da wird auch eine kleine Strecke sogleich zu einem Tagesausflug. Man kämpft sich von Schritt zu Schritt, dann von Kurve zu Kurve, und von Kilometer zu Kilometer. Aber eigentlich ging ich schon seit Kilometer 35 wie auf Nadeln. Auf diese Weise lernt man die schottische Geologie sehr gut kennen. Die Form der Steine hat sich in mein Gedächtnis gebrannt, bei jedem Schritt musste ich den Fuß sorgsam aufsetzen, um nicht eine stechende Meldung aus der Fußregion zu erhalten.

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Mittagszeit beim Anstieg auf Devil’s Stairs

Während also neben mir die Schuhe langsam trocknen, sehe ich die Marschwege wieder vor mir. Das meiste davon waren Schotterpfade, die sich zu Bächen gefüllt hatten. Gummistiefel wären eine Option gewesen. Der Rest bestand aus breiten Waldwegen und Matsch, etwas Asphalt und einem etwa 30 Kilometer langen Pfad entlang des Loch Lomond, der sich als rutschige Auf-Ab-Piste erwies. Wahrscheinlich das Mühsamste auf dem ganzen Weg. Am liebsten mochte ich die (wenigen) Anstiege. Hier konnte ich meine Füße so aufsetzen, dass sie überhaupt nicht weh taten, beschleunigte auf hohes Tempo und fühlte mich fast wie beim Wasserkanister-Training am Karren (Tipp 5). Das zeigte hier eindeutig seine Wirkung. Was ich also überhaupt nicht mochte, war der Abstieg. Mit schwerem Gepäck und maroden Füßen eine langwierige Tortur.

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Fast schon in Kinlochleven

Auch wenn ich einen Extra-Tag in Fort William einschieben muss, um meine Füße wieder fit zu bekommen, so war dieses „Projekt 152/4″ eine besondere Schule gewesen. Man lernt wieder einmal, zu was sein eigener Körper fähig ist. Und man sieht, dass es letztlich auf den Durchhaltewillen ankommt. Irgendwie schafft man es jeden Augenblick neu, den einen Fuß vor den anderen zu setzen, sich mit jedem Schritt dem so weit entfernten Ziel zu nähern. Wenn ich einen Blick auf die Karte neben mir werfe, so sehe ich jeden einzelnen Schritt. Ich bin froh, dass ich den Weg hinter mir hab. Ich bin froh, dass ich ihn gegangen bin. Und ich freu mich auf ein Zuhause, wo trotz aller Abenteuer das Schönste auf mich wartet.

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