Exmoor Trail Marathon – made it, beat it, survived it
Der Exmoor Trail Marathon sollte eines meiner sportlichen Highlights des Jahres 2010 werden. Laufen war ein fester Bestandteil unser beiden Trainingspläne, aber ich hatte noch ein Spur mehr auf den Marathon geschaut. Der Marathonlauf wurde im Nationalpark Exmoor im westenglischen Devon (nördlich des Cornwall) veranstaltet und ging über die übliche Marathondistanz. Der Unterschied: die Höhenmeter und die Wege.
Ein Wort zur Strecke und zu den Wegen: die Wege waren schön ausgeschildert mit zwei markanten roten Pfeilen (heute Nacht werde ich sicher davon träumen), dennoch musste man ständig Ausschau halten. Nicht wenige verkofferten sich und mußten die eine oder andere Minute wieder einholen. Die Wege selbst boten nur in Lynton ein wenig Asphalt, sonst war alles Naturbelag: Schotter, sehr grober Schotter, Erde, Wiese, Kies, verbrannte Erde, Sand. Das Arge daran war: viele enge Pfade waren derart „schief“, dass man nie mit beiden Beinen auf der gleichen Höhe lief. Fazit: sehr anstrengend.
Dann die Streckenführung: die Umgebung war fantastisch, oberhalb von Klippen zu laufen hat schon was (und ist auch nicht ohne, wenn man irgendwann müde wird und gerne über Kleinigkeiten stolpert). Ich habe mir oft gewünscht, in das Meer springen zu können. Das holte ich aber nach dem Zieleinlauf nach, in einem Bach suchte ich die Abkühlung. Das bringt mich zum nächsten: die unglaubliche Hitze. Für Läufer sind 26 Grad und mehr schon heftig, keine Wolken, und wenig Schatten. Die wenigen Waldwege waren ein Genuss und Erholung für jeden. Alle 5 km steckte ich meinen Kopf in irgendeinen Teil oder Bach, es war nicht auszuhalten. Und dann das ständige Auf und Ab. Kumuliert forderte die Strecke gute 3.000 positive Höhenmeter (10.000 feet) von uns Läufern. Im Nachhinein bin ich mir immer noch nicht klar, was da heute von meinem Körper und meiner Psyche abverlangt wurde. Beim Briefing machte der Ansager noch seine Witze über jene, die heute zum ersten Mal einen Marathon liefen. Ich weiss jetzt, warum.
Zum Rennen. Start war um 9.00, allerdings für die „Elite-Läufer“. Klarerweise habe ich hier nicht mitgemacht, aber auch nicht bei der Gruppe, die schon um 8.00 auf den Weg geschickt wurde – das waren die Ultra-Langsamen. Für die meisten erfolgte also kein Massenstart, sondern jeweils individuell mit Chip-„Stempel“. Das war auch gut so, denn gleich ging es auf Single-Trails, und da hätte es nur Staus gegeben. Die ersten Kilometer hatten es gleich in sich – steil hinauf in brütender Hitze. Ich lief den Single-Trail im typischen Trott hinauf, und Wunder, viele andere gingen bereits. Es war recht steil, aber irgendwie gab es da eine andere Taktik. Ich machte den Fehler nicht zweimal. Mir war schnell einmal übel und schwindlig, und andere holten in den flacheren Passagen wieder auf und reichten mich nach hinten weiter. Schon nach 4km hatte ich erstmals Seitenstechen. Aber für mich sind die ersten Kilometer immer die schwersten. Ein Marathon verläuft in Phasen – Verzweiflung, später Hoffnung, gefolgt von Zuversicht, weggewischt von Resignation, irgendwann kommt die Einsicht und als letztes der Kampf. Ist wohl klar, welche Phasen angenehm und welche einfach nur zum Kotzen sind.
Nach dem ersten Berggipfel wich also die Verzweiflung der Hoffnung, den plötzlich war das Seitenstechen weg, und die vielen Kilometer nach unten konnte ich à la „Luc“ Vollgas geben, viel Risiko eingehen und alles stehen lassen, was sich nur vor mir bewegte. Am Ende dieser schönen Passage (Kilometer 10) kam es dann schön langsam zu den ersten Pärchenbildungen, und ich fand meinen Partner beim nächsten Anstieg. Ollie aus Portsmouth, schätze mal so alt wie ich, machte einen guten Eindruck. Doch Aufwärts war ich besser, zog ihn quasi mit. Unsere Beziehung an diesem Trail würde man unter einer sehr lockeren, offenen Beziehung einordnen. Wir gingen zusamen, trennten uns, trafen uns wieder, das ging bis zum Zieleinlauf so, und natürlich teilten wir auch den Bach für die Körperpflege. Nur selten gingen wir fremd, aber auch das musste manchmal sein.
Den 10 Meilencheckpoint ließen wir hinter uns, ständig im Auf und Ab, dann flogen wir förmlich nach Lynton hinunter. Hier trennten sich unsere Wege kurz, und mein Seitenstechen folterte mich nun ganz schön ordentlich. Immer weiterlaufen, immer weiterlaufen, den Schmerz weglaufen, quasi. Resignation im Kopf. Das Tempo war dabei nicht besonders hoch, aber ich machte trotz allem Boden auf andere gut, und erklomm die zweite große Höhe kurz nach Checkpoint bei Meile 17. Die Kameraderie unter den Läufern wuchs, wir munterten uns gegenseitig auf, ich half einem mit Krämpfen am Boden Liegenden die Waden zu dehnen. Die Schritte wurden kürzer, der Durst größer, doch der Schmerz weniger. Einsicht in meine Tagesverfassung, in meine Möglichkeiten. Ollie stieß wieder zu mir, wir hatten fast ’ne Party bei Meile 20. Jetzt hieß es einfach nur noch kämpfen, beißen. Für uns beide. Wir machten Witze, wir fluchten, wir stöhnten die Höhen hinauf und hinunter. Kein schöner Anblick, aber die Wanderer, denen wir begegnet sind, verstanden das und feuerten uns an.
Ich dachte ich wär schon im Finish, als mir jemand zurief, „noch drei Meilen“. Ich wollte jubeln, mein Seitenstechen sagte aber nein. Irgendwie trotteten wir dahin, die letzten Meter zum Hunters Inn, vorbei an der Menge, die uns zujubelte. Das war schon Balsam für unsere Psyche. Wir waren definitiv jetzt da, wo wir vor fast 5 1/2 Stunden aufgebrochen waren. Gemeinsam ging es über die Ziellinie, wir gratulierten uns. Ich war zu nichts mehr fähig, im Kopf. Nur noch Wasser trinken und Wasser suchen. Exmoor Trail Marathon, I made it, I beat it, I survived it. Und schon war ich auf meinem Weg nach Bristol, in mir tobte der Trail Marathon aber noch lange weiter.
Nachtrag: hier noch weitere Fotos vom Rennen!