Bangladesh: It’s not over ‚til it’s over
Diese seltsame Überschrift möchte ich gleich am Anfang übersetzen und erklären, fasst sie das Reisen in Bangladesh doch so treffend zusammen: erst wenn’s vorbei ist, ist es wirklich vorbei. Ich kann’s auch in längere Worte fassen, und das dauert einige Absätze.
Individualreisen hat stets etwas von Unabhängigkeit. Man hat keinen Reiseführer, dem man folgt. Man hat keine Mitreisenden, die nerven. Und man kann tun und lassen, was einem gefällt. In Bangladesh ist das oft eine lustvolle Phantasie, in einem Reisebus mit einem Guide zu sitzen, der alles organisiert über das funktionierende Chaos der Straße und Bürokratie hinweg schwebt. Mit einem Wort: Individualreisende in Bangladesh brauchen entweder viel Zeit oder eine ordentliche Portion Gelassenheit, gepaart mit einer guten Vorbereitung.
Das Reisen in Bangladesh hat mich ein wenig an ein Adventure Race erinnert: von einem Punkt zum nächsten manövrierend, jede Bewegung eine Aufgabe für sich, stets ungewiss ob der Kurs auch stimmt, ob die Ressourcen reichen und die Zeit nicht davon schwimmen wird. Erst wenn der letzte Punkt erreicht ist, quasi das Ziel, dann ist das Rennen (oder hier die Reise) vorbei – it’s not over until it’s over.
In Bangladesh ist fast alles eine Herausforderung. Z.B. die Orientierung in einer Stadt (keine Straßenschilder, keine Straßen), das Nutzen von Taxis (leider wissen die wenigsten Rickshaw-Whallas, wo ein Gebäude unter welcher Adresse tatsächlich ist), das Kaufen von Zugtickets, das Bezahlen von Flug-Tickets mit US-Dollar, und und und… Das einzig Leichte ist wohl das Auftreiben von Essen, Straßenbuden und Kioske gibt es zuhauf. Man muss sich halt nur trauen, das Zeug auch zu essen. Da hatten wir aber bis auf einmal keine Probleme, und das Essen ist wirklich gut.
Aber zurück zu den kleinen und großen Aufgaben des Reisens in Bangladesh. Internet-Infos gibt es nicht, Fahrpläne ebenso nicht. Man muss alles vor Ort auskundschaften, was aber letztlich weniger schwierig ist. Die Leute sind sehr hilfsbereit, auch wenn viele keine Ahnung haben, was sie sagen. Das ist das Problem hier. Zeit- und Größenangaben sind vage („in 2 min“, „200m weiter“) und oft völlig daneben, alles geht nur Cash und in Landeswährung, wobei das Geldwechseln auch in diesem Land eine Wissenschaft per se ist. Immer den Pass mitnehmen und sich auf eine lange Prozedur einstellen.
Nichts ist unmöglich auf Bangladesh‘ Straßen – aber auch nichts dauert so lange wie hier
Der Verkehr ist auch so eine Sache. Hat man den Bus gefunden, das Rickshaw besetzt, das Mini-Taxi herbei gerufen, ist es noch lange nicht sicher, dass man am gewünschten Ort ankommt. Und wenn, dann ist das eine Zeitfrage: die Staus in den Metropolen Bangladeshs – ob Dhaka, Sylhet oder Chittagong – sind berühmt-berüchtigt. Hat man irgendwelche Anschlussflüge oder Busse, dann sollte man sehr viel Reserve einplanen. Mit sehr viel Reserve meine ich eine Nacht ist ideal.
Busse fahren bis sie auseinander fallen – und darüber hinaus
Über die Permits im Landesinneren werde ich noch separat schreiben, aber die Ein- und Ausreise ist auch so ein Spezialgebiet. Für die Ausreise auf dem Landweg muss man 300 Taka auf einer Bank als Departure Tax deponieren, und den Beleg mitnehmen. Wir haben schon Reisende getroffen, die mussten 15km wieder zurück in die nächste Stadt und einzahlen, bevor sie über die Grenze durften. Reist man mit dem Flieger ein und verläßt das Land zu Fuß, ist eine Change of Route permission notwendig (ein Prozess, der in Dhaka beginnt und mindestens 24 Stunden dauert, zu Werktagen, versteht sich). Wir hatten schon geschwitzt, ob wir hier Ärger bekommen (wir waren über die Landgrenze eingereist, und mit dem Flieger ausgereist, also genau umgekehrt, aber dem Prinzip nach wäre eine solche Erlaubnis notwendig gewesen), aber außer der erstaunten Frage, ob wir zu Fuß über die Grenze gekommen sind, gab es keinerlei Fragen. Der Landübergang bei Tamabil ist in der Früh erst ab 10.00 geöffnet und schließt am späten Nachmittag. Da sollte man schon zeitlich ankommen, sonst bleibt man in der Grenzgegend hängen und das ist dann nicht so fein, da kein Hotel in der Gegend.
Der Grenzposten in Tamabil (wir kamen mit dem Shared Taxi von Shillong) ist allemal ein Erlebnis. Die Inder betont cordial und lässig, die Bangladeshi eher formell und martialisch. In deren Wellblechposten trafen wir wieder auf die bengalische Bürokratie mit ‚zig Formularen, einem großen Schreibtisch mit einer wichtigen Person dahinter, die Zeitung liest und Tee trinkt. Seine Mitarbeiter links und rechts des Schreibtischs machen die Papierarbeit, schenken Tee ein, bringen Zeitung, tragen unsere Bitten vor, und legen schließlich den Stempel vor, der zur Kennzeichnung im Pass verwendet wird. „Which Country?“ kommt nochmals aus dem Mund des Wichtigen, und nach zweimaliger Korrektur einer australischen Staatsbürgerschaft, höflichen Dankens und 45 Minuten des Wartens gehen wir schon weiter in die nächste Hütte für die nächsten Formulare. Es ist ein Wettlauf von Punkt zu Punkt, von Aufgabe zu Aufgabe, it’s not over, ‚til it’s over.
Reges Treiben am Viehmarkt, das Zuschauen ist dabei Volkssport
So gesehen müssten die Einwohner Bangladeshs gute Adventure Race Wettkämpfer abgeben. Aber im Grunde gehen die meisten hier mit dem System so konform, dass sie darin keine Aufgabe sehen, von Problem zur Lösung zu kommen, sondern eher versuchen, das Problem auszusitzen, bis es nicht mehr existiert. Das Land gleicht dann trotz des geschäftigen Tuns eher einer Landschaft von in Meer treibender Bojen, die darauf warten, von jemandem aufgenommen und weiter getragen zu werden. Die vielen Bettler, die vielen Anfragen auf Unterstützung nach Europa zu kommen (Stichwort „Sponsor“), die Sensation einen Ausländer (sprich Boot) in seiner Nähe zu sehen, all das trug zur Verstärkung dieses Verhaltensbildes bei. Taucht man in diese Masse ein, so wird man nicht anonym, sondern weiterhin ein Focus des Straßengeschehens. Hunderte Augenpaare verfolgen jede Bewegung, jeden Ausdruck, jedes Handeln und wohl jedes unverständliche Wort. Bangladesh dringt in jeder Sekunde in die Poren des Reisenden, und auch im Hotelzimmer, welches eine erste und wichtige Barriere für die Privatssphäre bietet, wird man es schwer los. Die Türe geht erst richtig zu, wenn man das Land verlassen hat. It’s not over ‚til it’s over.
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