Liverpool: Docks und Vorstädte
Alles in grün – die Iren feiern St. Patricks Day, auch in Liverpool. Die Mädels trotz 5 Grad Celsius Aussentemperatur mit Flip-Flops oder Balerinas, Minirock und grüner Bluse, die Jungs mit Wollmütze, grünes T-Shirts und zerrissenen Jeans. Sie sind schnell beim Bier leeren, und sonst recht laut in Rudeln unterwegs. Schwer auftuppiert. Irgendwie.
Die Senioren haben es hier auch faustdick hinter den Ohren, doch alles alte Haudegen und Seeleute, die nun mit ihren Popeye-Unterarmen und krummen Beinen die Straßen bevölkern. Mehr als einmal muss ich mein Englandbild relativieren.
Eine halbe Stunde später. Das Essen ist aufgegessen, und ich frage mich, wie oft das noch in den nächsten Tagen der Fall sein wird. Aber das liegt wohl weniger an meinem Hunger, sondern auch an den Fish & Chips, und weg waren sie. Ganz schnell, mit Sauce Tartare. Irgendwie muss ich noch in den Supermarkt, und dann noch meine Präsentationen für meine Uni in Leeds vorbereiten.
Im Pub wird nicht lange gefackelt. Um zwölf Mittag wird schon ordentlich gehoben, dazu U2, Oasis und Red Hot Chilli Peppers angestimmt. Party an einem Dienstag Mittag in Liverpool Church Street? I feel it more than ever…
Hin zum Meer, befindet sich am Albert-Dock das Merseyside Maritime Museum. Auf mehreren Stockwerken wird die Bedeutung Liverpools für die Schifffahrt und der Schifffahrt für Liverpool erzählt. Viel Raum ist dem Schicksal der drei Schiffe Titanic, Lusitania und Empress of Ireland gewidmet. In drei Jahren (1913-1915) sind diese drei in Liverpool registrierten Schiffe untergegangen, und haben den langsamen Niedergang Liverpools angekündigt. Der Höhepunkt der Stadt um 1900 war mit dem Ende des 1. Weltkrieges wieder längst vorbei.
Eine wichtige Rolle für das maritime Liverpool spielte indirekt auch der Sklavenhandel. Im Dreiecksgeschäft mit Afrika, Amerika und Europa wurde viel Ware aus Liverpool nach Afrika exportiert, um die Güter Amerikas importieren zu können. Dem Ausmaß des Sklavenhandels widmet sich ein Großteil der Ausstellung.
Drei Stunden später und ich schaue aus dem Fenster meines Zimmers. Unter mir ein Pub, in der Ferne die Liverpool Bay. Trostlose Vorstadt, britische Arbeitersiedlungen. Junge Mütter, solarium-gebräunt, junge Väter mit 2mm-Haarschnitt und Jogginganzug auf der Straße. Statt den Tauben schauen die Möwen von den Dächern, was den roten Ziegelbauten einen Tick Neuigkeitswert gibt. In meinem Zimmer ein Topf mit Plastikblumen, Fernsehen und dem Schild „Drinking Water“ über dem Waschbecken. Die Toilette und die Dusche sind ja im Gang, wie die Kaffeemaschine übrigens auch. Die Dame unten im Pub schaut mich groß an, als ich eintrete. Die anderen Gäste auch. Das ist schon das Hotel, oder? Ja, natürlich, wie denn mein Name sei. Ich versuche es gar nicht zu buchstabieren, die Dame ist etwas schwerhörig. Das wissen die anderen und drehen sich schon um, damit sie auch bei meinem Check-in mithören können. Grinsen geht durch den Raum. Ich grinse auch, und zeige lieber meine Buchungsbestätigung. Da sollte doch alles klar sein. Aber die Dame ist freundlich neugierig. Sie möchte wissen, wie man denn meinen Namen ausspricht. Ich probiere es. Zweimal, dann ein drittes Mal. Alle haben’s schon gehört, nur die Dame nicht. Es wird weiter gegrinst. Ich auch, und dann gehen wir hinauf und sie gibt mir die Zimmerschlüssel. Die Höhepunkte des Vorstadtlebens sind das, denk‘ ich mir, ein Gast aus Austria. Das ist doch das Land, von dem die ganze Presse heute berichtet hat, das Land von diesem Irren. Ich bin froh, dass ich nicht über Keller und Freud diskutieren muss, unten im Pub. Nur kurz überlege ich, warum eigentlich diese Geschichte gerade die Engländer so fasziniert, dass sie in jeder Tageszeitung das Titelblatt mit dem Konterfei des Angeklagten zieren?