Roter Stahl: Auch das ist Europa
Wir fahren eine Weile, Otelu Rosu liegt fast eine Autostunde von Resita entfernt und heißt übersetzt Roter Stahl. Ich erwarte mir vom Ort im klassischen Kommunismus-Sprech nicht viel, ein Nest zwischen Hermannstadt und Resita. Am Horizont sind die angezuckerten Berge zu sehen. Unterwegs halten wir bei einem Baumarkt und einem Lidl, kaufen Heizmaterial und Lebensmittel ein. In ihrem Wohltätigkeitsverein haben Bobby und Adelina für diesen Tag eine Sachspende für eine in Not lebende Familie organisiert.
Wir parken im zugemüllten Park zwischen zwei Häuserblocks. Die Häuser sehen verfallen aus, Kamine führen an der Außenwand bis zum Dach. Am anderen Ende des Parks zerteilen zwei Männer mit Motorsägen unter lautem Krach Baumstämme, ein anderer hackt sie in Stücke. Als wären es die letzten Bäume auf dieser Erde. Zwei Frauen stehen herum, schauen gelangweilt, Kinder streiten um einen Fußball. Ein Hund kreist scheu um uns, ängstlich neugierig. Wir packen mit vier anderen Helfern einen Teil der Sachen aus dem Kofferraum von zwei Autos, tragen es durch den nicht mehr gewarteten Eingang über das zerfallende Stiegenhaus in den Flur im ersten Stock. Es ist dunkel und eng, keine Namen an den Türen, nur Schlösser. Wir betreten die Wohnung, der Türgriff ist abgebrochen. Die Oma, die hier mit ihrem Enkel wohnt, musste für wenige Tage zu einer Behandlung ins Spital. In der Zwischenzeit brach man ihre Türe auf und stahl die Waschmaschine und die Heizungsrohre.
Der kleine Bub strahlt. Auf eine Weise, die man selten sieht. Eine ehrliche, Herz zerreissende Art, die jeden im Raum gefangen nimmt. Langsam packt er ein Teil nach dem anderen aus den Tüten, fragt was das ist, und auch wenn er es nicht versteht, wiederholt er das Wort vor der Oma, klammert sich an das Teil, umarmt es wie ein Kätzchen, legt es dann auf den Tisch zu den anderen Sachen und wiederholt das Spiel hundertmal. Immer wieder umarmt er die Fremden inniger Dankbarkeit. Ich fühle mich gut und schlecht zugleich, ich muss kurz raus. Ich stehe im dunklen Gang, schaue um mich, denke mir, die Erde ist ein Arschloch wenn man die falschen Karten schon zu Beginn des Lebens gezogen hat. Die Hölle. Aber was ist schon die Hölle? Ich merke, ich habe keine Ahnung von irgendetwas hier, kehre zurück in die Wohnung, in deren WC sich das Feuerholz stapelt. Wenigstens das haben sie nicht geklaut.
Wir brechen auf, verabschieden uns aus der Hölle, wobei Adelina mir versichert, sie hat schon Schlimmeres hier in Rumänien gesehen. Das Auto humpelt über Schlaglöcher und kehrt der Stadt den Auspuff zu. Mission Acccomplished oder ich weiss nicht recht. Ein Tropfen in einer See der Armut. In Resita bleiben wir noch bei Freunden stehen. Kaffee und Kuchen, russischer Salat natürlich auch. Der Sohn hat Geburtstag. Es schmeckt gut und ich treffe den ersten Vegetarier in Rumänien. Ja, niemand versteht die Vegetarier hier. Niemand. Auch am Ausgang zur Hölle nicht.
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Reisen und die Natur, inklusive Skitouren, Bergsteigen und Wanderungen, das sind die Inhalte meines Blogs "Super gsi - Beginner's Mind". Mehr dazu hier...
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