Am Polarkreis: Hitchhiking with Santa Claus

Vier Menschen, vier Geschichten, 290 Kilometer Autostopp. An einem klaren, kühlen Morgen verlasse ich Oulu per Bus. Für wenig Geld liefert es mich in Rovaniemi ab. Die Landschaft verändert sich noch nicht – Wälder, Seen und schnurgerade Straßen.

Ich beschließe, die letzten Kilometer nach Ivalo auf Autostopp zu machen. Die Kosten für den Bus scheinen mir horrend, das Geld will ich für etwas Notwendigeres sparen. Es ist neblig und kalt, gerade mal 0°C. In Rovaniemi friere ich eine gute dreiviertel Stunde am Straßenrand, mit meinem Täfelchen aus Karton und schwarzer Aufschrift “From Austria To Ivalo“, versuche mich interessant zu machen. Meine zitternde Figur erweckt wohl eher Mitleid, als mich ein pensionierter Grenzbeamter in seinen Pickup einsteigen lässt. Nein, er fährt nicht nach Ivalo, aber er dachte sich, zehn Kilometer weiter sei für mich ein weit besserer Platz um per Anhalter weiterzukommen. Am Polarkreis bleiben wir stehen, ich hüpfe aus dem Wagen und bedanke mich, stehe am Santa Claus Themenpark und bin dankbar für eine Tankstelle, die mir als möglicher Zufluchtsort vor einer kalten Nacht dienen könnte.

Eine halbe Stunde später blinkt eine ältere Dame zum Straßenrand und ich nehme den Beifahrersitz mit ihrem Pudel gemeinsam in Besitz. Warum sie stehen blieb? Ihre Mutter hatte es sich in den 60er Jahren zur Angewohnheit gemacht, Anhalter mit nach Hause zum Essen zu bringen, um Geschichten aus aller Welt zu hören. Diese Tradition, zumindest das im Auto mitnehmen, führt sie nun selbst weiter. Wir plaudern also über meine Reise, doch bald über ihre Arbeit, die sich mit den Folgen des Klimawandels am Polarkreis beschäftigt. Folgen für die Natur, für die Leute, für das Wetter. Je nach Sichtweise ist das für die einen negativ, für die anderen positiv.

Nach achtzig Kilometern stehe ich wieder an der Straße und halte mein Schildchen brav in die Höhe. Zwischen den wenigen vorbeifahrenden Fahrzeugen ziehe ich mir meine lange Unterwäsche unter, die dicken Wollfäustlinge und eine leichte Daunenjacke erfreuen mein Herz. Ebenso eine andere Dame, die zwanzig Minuten später vor meiner Nase hält und mich nach Sodankylä bringt, gute zwanzig Kilometer weiter. Da sei die letzte große Tankstelle, da bliebe jeder stehen, und ich solle mir doch einen Kaffee holen, diese ungewöhnlich feuchte Luft gehe einem direkt ins Mark. Gesagt, getan, ich stehe am Straßenrand, mit einem Kaffeebecher in der Hand, Steffen kommt mir entgegen, voll bepacktes Fahrrad und seit drei Jahren unterwegs. Ja, die Nächte seien jetzt schon recht kalt, und das Wasser auch schon. Waschen geht da nicht mehr, aber die Dusche im öffentlichen Schwimmbad ist mit sieben Euro viel zu teuer. Er radelt die Straße nach Ivalo weiter, auf der Suche nach einem erschwinglichem Campingplatz.

Zwanzig Minuten vergehen, ich finde es mittlerweile recht erheiternd an der Straße zu stehen und mich als Mitfahrer anzupreisen. Ein weisser Kastenwagen bleibt stehen, fährt bis nach Ivalo. Wohl mein Glückstag heute, der Fischer räumt seine Ausrüstung zur Seite und wir brausen los. Er erklärt mir alles, was man für das Fischen wissen muss, auch wenn er nur ein paar Brocken Englisch spricht und Google Translate auch eine lahme Krücke ist. Die zwei Stunden vergehen im Flug, wir staunen beide bald schweigend nach vorne. Lappland, du meine Güte! Lichte Wälder, Buschwerk, Rentierherden, Ströme, Seen, Sümpfe, Hügel, niedrige Pässe. Die Sonne durchbricht die Wolken, den Regen, diese Weite, diese endlose Stille der Landschaft. Ich möchte in ein Kajak springen, ein Zelt aufschlagen, im Himmel vergehen.