Istanbul: Das Tor zum Nahen Osten
Ein Dialog entspinnt sich um vier Uhr morgens; einer der beiden etwas übernächtigt, der andere leicht aufgeregt, weil sein Flugzeug in einer Stunde nach Südosten abheben wird.
“Wohin fliegen Sie?”
“Nach Erbil”
“So, nach Erbil? Was machen Sie dort?” fragt er und blättert nun etwas aufmerksamer durch meinen Pass.
“Bergsteigen.”
“Und haben Sie ein Rückflugticket?”
“Nein.”
“Ah. Bleiben Sie länger dort?”
Ich verneine und ergänze, dass ich weiter nach Shiraz, in den Iran fliegen werde.
“Ah! Was machen Sie im Iran?”
“Bergsteigen.”
“Und haben Sie schon ein Rückflugticket?”
“Nein, ich bleibe eine Weile.”
“Und dann?”
“Fliege ich weiter, nach Baku.”
“Und was machen Sie dort?” Der Grenzbeamte schaut mir zum zweiten Mal in die Augen, nun neugierig auf meine Antwort.
“Sagte ich schon, Bergsteigen.” Ich mache es für mein Gegenüber spannend, er muss mir alles aus der Nase ziehen. Darin habe ich eine gewisse Übung.
Sein Gehirn kommt auf Touren und kombiniert: “Sie haben also kein Rückflugticket, richtig?”
“Genau, ich fliege weiter, nach Minsk.”
Zum ersten Mal strahlt mein Gegenüber in Uniform, er kennt die Lösung: “Ah! Um Bergsteigen zu gehen?”
“In Weissrussland?“, frage ich erstaunt. Ich bekomme meinen Pass wortlos und gehe weiter zu meinem Flugsteig.
In Istanbul habe ich gute zehn Stunden Aufenthalt. Sabiha Gökcen ist modern und teuer, mein mitgebrachtes Jause-Paket ein sinnvolles Investment. Dennoch hätte ich nach einer unbequemen Nacht am Wiener Flughafen äußerst gerne einen Kaffee. Erstaunliches ergibt sich: ich schreibe ein Gedicht und lese es der hübschen Bedienung vor. Sie lächelt. Ich solle es ihr doch schicken. Sie verschafft mir den Zugangscode zum Wifi, der am Airport kostenpflichtig ist. Sie kommt wenige Minuten später wieder, ob ich nicht noch ein zweites für sie schreiben könnte. In fünfzehn Minuten ist die Auftragsarbeit getan und ich habe meinen Cappuccino am Tresen. Geht auf’s Haus.
Nachdem ich mein erstes Geld mit einem Gedicht verdient habe, bewege ich mich zwei Stockwerke tiefer vor mein Gate. 305A. Es ist 22 Uhr, das Neonlicht kalt. Es ist unmöglich, die Anzahl der Köpfe zu zählen, das Terminal geht über vor Leuten. Beirut, Kuwait, Abu Dhabi; Teheran und Amman. Kopftücher, keine Kopftücher, Niqab, Hidschab oder hautenge Jeans, Sandalen und Stöckelschuhe, ein Gewirr wie aus 1000 und eine Nacht. Es ist laut und die Leute fächern vor ihren Gesichtern, die Luft ist verbraucht, alle stehen sich auf die Zehen, auch die, die sitzen. Ich blicke um mich. Ich bin am Tor zum Nahen Osten.
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Reisen und die Natur, inklusive Skitouren, Bergsteigen und Wanderungen, das sind die Inhalte meines Blogs "Super gsi - Beginner's Mind". Mehr dazu hier...
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[…] Tomaten aus dem Garten seiner Eltern. Andrius erzählt mir von seinen Jahren im Nahen Osten, Istanbul und Palästina hauptsächlich. Vom Putschversuch, von den Bombenattentaten am Bosporus, aber auch […]
[…] Das Flugzeug setzt hart auf, Leute klatschen. Eine Tortur geht zu Ende. Eng bestuhlt, bis auf den letzten Platz besetzt, Lärm. Ein Kleinkind klingt wie eine sterbende Krähe, ein anderes wie ein Luftballon, der langsam seine Luft verliert. Hitze, Enge, übernächtigt. […]
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