Valbona: albanische Bergwelt im April
In der Nacht einen Stellplatz zu suchen ist ein Abenteuer. Am nächsten Morgen aufzuwachen und zu entdecken, wo man gelandet ist, pure Aufregung. Ich öffne also meine Augen, sehe zunächst nichts als die Decke meines Mietautos, richte mich langsam aus meiner starren Position auf und blicke aus dem Fahrzeuginneren hinaus in die Welt. Und staune. Nichts als Felswände, Schnee und Eis. Bin ich tatsächlich in Albanien? Ich schaue nochmals.
Ich weiss sofort, dass ich meine Wanderung auf den höchsten Gipfel der Gegend um zwei Monate verschieben kann. Am Ende des Tages werde ich es nicht einmal bis zum Valbona Pass schaffen (1.795 m, Qafa e Valbonës). Nach einem wunderbaren Frühstück aus dem Kofferraum (drei Datteln, die ich noch aus dem Libanon retten konnte) mache ich mich im breiten Flusstal auf den Weg. Die Wegmarkierung verliere ich schon nach einhundert Metern aus den Augen, dafür kommt mir ein erstaunt dreinblickender Einheimischer meines Alters entgegen. Ob ich nach Teth gehe, fragt er in Albanisch, ich antworte zum Pass hinauf, und er schüttelt den Kopf und gibt mir zu verstehen, dass dort noch zwei Meter Schnee liegen. Ohne Ski, ohne Schneeschuhe, ein hoffnungsloses Unterfangen grüble ich, während die Frage nach meiner Herkunft in meinen Ohren schallt. Als ich ihm Auskunft gebe, lächelt der Mann und zeigt mir mit ‘Daumen hoch’, was er davon hält. Nun sehe ich, dass er nur noch drei Zähne sein Eigen nennt.
Ich will sehen, wie weit ich komme. Der Versuch endet nach einem Kilometer im tiefen Schnee. Ich drehe um und widme mich einem aperen Hang, der etwas Sicht über das Valbona Tal zu bieten verspricht. Der weglose Aufstieg ist ein Herumexperimentieren und Entdecken, ich erklimme letztlich eine Felskuppel und habe das Talpanorama für mich. Die Wolken ziehen rasch über den Himmel, die Sonne kommt aber nur für Momente zum Vorschein. Es wäre sehr ruhig hier, wenn nicht auf der gegenüberliegenden Seite Nassschneerutsche im Minutentakt einen Höllenlärm verursachen würden.
Ich bin im Auto zurück und habe ungeplant den halben Tag frei. Ich starte und fahre die Bergstraßen zu meinem nächsten, geplanten Wander-Spot, etwa einhundert Kilometer entfernt. Ich benötige mehr als drei Stunden. Die Straßen sind eine bunte Mischung aus Schlaglöchern, Kiespisten und abgebrochenen Fahrbahnen, Serpentinen und einspurigen Bahnen. Auch in den Dörfern und Städten. Tafeln zur Geschwindigkeitsbegrenzung sind wohl albanischer Humor, kommt es mir, an den Kreuzungen gilt das Faustrecht. Ich drücke auf’s Gas. In Radomire steige ich aus dem Auto und muss zugeben, die Bergtour wäre auch hier eher eine Skitour. Ich steige nach zehn Sekunden Nachdenken ein und fahre weiter Richtung Ohrid-See, eine Fahrt von rund vier Stunden. Ohne Google Maps wäre ich schon längst aufgeschmissen gewesen, vor allem in den Städten, in denen mit Richtungsangaben sehr sparsam umgegangen wird. Doch auch diese praktische Hilfe ist nicht unfehlbar, sie schickt mich in eine Sackgasse von einhundert Kilometern: die Verbindung zwischen Shupenze und Librazd ist eine Naturpiste der wilden Sorte. Die 60 Kilometer will ich meinem Mietauto nicht antun und entschließe mich auf einen riesigen Umweg über Tirana. Die Straße dorthin ist zwar asphaltiert, aber ein Schlagloch-Fest. Ich schaffe es in die Hauptstadt noch kurz vor Dunkelheit.
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Reisen und die Natur, inklusive Skitouren, Bergsteigen und Wanderungen, das sind die Inhalte meines Blogs "Super gsi - Beginner's Mind". Mehr dazu hier...
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[…] von nebenan, praktisch umsonst, und schaue zurück auf meinen albanischen Roadrip, der mich über Valbona, Llogara, Gjipe und die Meereslagunen in Divjake-Karavaster nach Tirana geführt hat. Einfach […]
[…] eine schneefreie Wanderung und das ist genau das, was ich in diesen Tagen in Albanien suche. Valbona und die anderen Bergregionen sind noch tief eingeschneit. Die drei Nacht-Stunden werden anstrengend, die Straßen sind nicht beleuchtet, die Schlaglöcher […]
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