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Wadi Rum: Bread oder Khobez

Es ist spät nachmittags, eine ungewöhnliche Zeit hoch oben über dem Beduinenlager zu sitzen und in die Weite zu blicken. Üblicherweise steige ich im Morgengrauen durch diese Felswand hinauf, was viel dramatischer klingt und noch weit gefährlicher vom Wüstenboden aus aussieht, als es in der Tat dann ist. Der Wind und der wenige Regen haben über Jahrtausende und mehr aus dem Sandstein die Skulptur einer verlassenen Stadt geschliffen, mit vielen Fenstern und kleinen Toren, Kammern und Balkonen. Das Bildnis des Turmbaus von Babylon von Pieter Bruegel kommt mir dabei in den Sinn, dieser chaotische Aufbau einer klaren Struktur, einer riesigen Vogelnestkolonie auf einem uneinnehmbaren Felsklotz, der aus dem Meer ragt. Magisch hat mich der rote Stein angezogen, flüsterte mir ständig zu, ich soll doch einen Weg durch sein Labyrinth finden, ganz hoch hinauf auf seine Spitze. Es hat nicht lange gedauert, ich tat den ersten Schritt und gewann Meter für Meter an Überblick, wohin es gehen konnte und wo ich es besser sein ließe. Ich band keinen roten Faden wie Theseus im Labyrinth des Minotaurus, um den Abstieg zu finden – Steinmänner taten den gleichen Dienst. Am dritten Tag hatte ich die Spitze erreicht, über drei Balkone und mehrere Stufen, feine Bänder und hübsche Boulder. Es war nicht sonderlich schwer, aber voller Genuss diese Route anzulegen und den Weg für andere vorzubereiten.

Wadi Rum - Farben wie auf dem Mars
kleiner Ausschnitt einer Geisterstadt aus Sandstein

Von der breiten, flachen Gipfelebene überschaue ich Wadi Rum. Seine Gipfelketten, seine Felsinseln, und dazwischen die weiten Strecken aus rotem Sand. Der Wind weht leicht und an diesem Nachmittag muss ich mich nicht in warme Kleidung wickeln wie an jedem anderen Morgen oder an manchen Sonnenuntergängen. Die Sonne wärmt mich und lässt mich ungestört die Ruhe studieren. Ich erblicke weit entfernt einen kleinen weißen Punkt, der über die Sandpiste schleicht, es ist Ibrahim, der an diesem Freitag dem Nachbarlager einen Besuch abgestattet hat. Er hatte sich ganz fesch gemacht – weiße Beduinentracht, ein graues Jacket darüber, die Haare gewaschen und gekämmt und die Bartstoppeln am Hals rasiert. Er sah aus wie ein Schuljunge. Dabei ist Ibrahim ein Kerl, groß gewachsen und mit starken Händen, leuchtenden Augen und einem unerschüttelichen Lachen. Beim Armdrücken habe ich keine Chance, aber zehn Klimmzüge bekommt er nicht hin. Wir sind zwei unterschiedliche Wesen. Er lacht sich krumm, dass ich kein Fleisch esse, und ich klopfe ihm freundlich auf die Schulter, wenn wir zum zehnten Mal an einem Tag das Wort “Bread” (arabisch “khobez”) üben. Er kriegt es einfach nicht hin.

Ich muss schmunzeln, wenn ich an die Stunden denke, die wir gemeinsam verbracht haben. Beim Wegebau oder in der Küche, beim Feuermachen oder beim Müll verbrennen. Wir kommunizieren mit wenigen Brocken Arabisch-Englisch und allen Händen und Gesten, die uns zur Verfügung stehen. Wir schauen uns doof an und lachen uns kaputt, trinken den süßesten Tee am Lagerfeuer, er zieht an seiner Zigarette, ich stochere im Feuer. Die fehlende Sprache lässt uns stumm werden, jeden in seiner Gedankenwelt einbalsamiert, und doch sind wir hier nicht allein, sondern teilen Zeit und Schicksal, zumindest für eine kurze Weile. Es hat uns beide hier angeschwemmt, wobei dieses Zeitwort im Kontext der Wüste bestimmt gänzlich fehl am Platz ist, also sagen wir, wir sind gestrandet, der eine, weil Bomben und Granaten ihn aus seiner alten Heimat vertrieben haben, und der andere, weil sein Gemüt zu viele Fragen stellt und jeden davon jagt, der ihm zu Nahe kommt. Wir sind, mit einem Wort, heimatlos geworden. Ich kann mir schwer vorstellen, wie es in Ibrahim aussieht. In Jordanien ist er und seine Frau und ihre drei Kleinen in Sicherheit, in Syrien aber leben noch die Eltern und Geschwister. Hat er sich irgendwann entscheiden müssen zwischen der Pflicht, seinen Eltern beizustehen, und der Notwendigkeit, seine Familie zu retten? Diese Gratwanderung muss einen Menschen, ganz besonders einen Araber, zum Wahnsinn treiben.

In der Wüste von Wadi Rum
der Mann, der in der Wüste spazieren geht

Das Leben in unserem Wüstencamp ist einfach und bescheiden. Ich esse nun zum vierzehnten Mal das Gleiche zu Abend. Ich esse es immer noch, wenn auch ohne Schwung. Ich habe mir im Dorf aus dem kleinen Laden einen Vorrat an Snickers besorgt und in meinem Zelt gebunkert. Diese kleine Variation ist mein kulinarischer Höhepunkt des Tages. Darüber hinaus haben wir warmes Wasser, Decken und Holz. Wir haben einen gigantischen Sternenhimmel nachts und prächtige Fernsicht am Tag. Wir haben alle Rot-Töne dieser Welt und die lauteste Stille. Hier auf dem Gipfel meines Berges, auf den ich selten auch Gäste des Zeltlagers hinaufführe, habe ich gar meine persönliche Terrasse. Und doch steige ich jedes Mal ab ins Lager und lege mich irgendwann ins Zelt, höre dem Wind zu, wie er ganz fein Sandkörner auf das Stoffdach rieseln lässt. Ibrahim hört dasselbe, aber seine Träume sind andere.

1 reply

Trackbacks & Pingbacks

  1. Wadi Rum: Männerrunden dieser Welt – super gsi! says:
    17. February, 2018 at 12:39

    […] ein, ich inhaliere gerne mit, greife nach meinem kleinen Glas heißem Tee. Schwarzer Tee in Zucker. Ibrahim kramt in seiner Brusttasche, schaut in seine Zigarettenpackung und schmeißt sie enttäuscht, weil […]

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