Eine kolumbianische Erfahrung: auf Schlechtes folgt Gutes, und umgekehrt
Ich sitze im Hostel direkt am Zocalo von Popayan, noch gute 10 Autostunden nördlich der kolumbianisch-ecuadorianischen Grenze. Nach einer Nacht im Bus sind wir etwas müde, aber noch mehr vom ständigen Dröhnen der Trompeten der Fussball-Fans. Im überdachten Patio sind wir etwas lärmgeschützt und ordnen unsere Dinge. Wie immer haben wir möglichst alles am Busterminal zurückgelassen, wo wir es morgen früh wieder an uns nehmen. Es geht langsam nach Ecuador, bald liegt Kolumbien hinter uns. Schade.
Ich wusste nicht, was ich von Kolumbien zu erwarten habe. In meinem Gedächtnis hat sich das Kolumbien der 90er Jahre eingebrannt. Das No-Go Land für alle Rucksack-Touris. Rebellen, Bürgerkrieg, korrupte Polizei, Todesschwadronen, Drogenkrieg der diversen Kartelle unter einander und mit dem Staat. Heute heißt das Schlagwort “Paz”, Friede. Santos gewinnt die Wahl zum Präsidenten mit seiner Politik der Repatriierung von Rebellen in die kolumbianische Zivilgesellschaft, die Drogenkartelle haben viel an Macht verloren und die Demokratie ist gestärkt. Man kann die Straßen betreten, ohne sich ständig umzudrehen, und auch nachts ausgehen. Die Leute sind sehr nett und hilfsbereit, ob am Land oder in der Stadt. Armut ist vorhanden, aber ich habe mehr Obdachlose in den Straßen von Portland, San Francisco und Los Angeles gesehen als in Bogota oder Medellin. Es gibt Sozialprogramme, und der Staat sieht die Notwendigkeit des Ausgleichs zwischen den sozialen Schichten als Weg zur inneren Stabilität. Auf schlechte Zeiten folgen zwangsweise irgendwann gute Zeiten, und umgekehrt. Das ist die Logik des Gegenteils, welches sich aus dieser Polarität heraus definiert.
Das Land braucht nach Jahrzehnten des Konflikts die Einigkeit. Ein Mittel dazu ist, wie so oft Sport, und in Kolumbien heißt das Fußball. Das ist insofern nützlich, weil gerade die Fußball-WM mit der kolumbianischen Nationalmannschaft statt findet. Zwei Stunden vor dem zweiten Spiel der Kolumbianer treffen wir in Popayan ein. Alles ist in Gelb-Rot-Blau getaucht, kaum jemand, der nicht ein Nationaltrikot trägt. Wir haben Mühe, einen Platz in einem der Lokale zu ergattern. Wir landen schließlich in einer Hennen-Fritierbude, trinken einen Erdbeer-Jugo und starren wie der Rest der Gäste und Beschäftigten auf den Bildschirm unter der Decke. Als dann das vorentscheidende 2:0 für Kolumbien fällt, bricht das freudige Chaos im Lokal aus, auf der Straße, in der ganzen Nation. Die Leute toben, Fremde umarmen sich, und man versteht sein eigenes Wort nicht mehr.
Kolumbianische Fussballfans in Feier-Laune
Auf Schlechtes folgt Gutes, und umgekehrt. Der Eigentümer der Hacienda La Esperanza kann hier einiges erzählen, tut es aber nicht. Als einziger seiner Familie ist er auf der Farm geblieben, als das Gebiet in die Hände der Rebellen fiel. Ein Leben in Furcht, über Jahre. Aber das Haus aufzugeben wäre für ihn nicht in Frage gekommen. Immer wieder kamen Fremde, bewaffnet und auf Lastwagen, campierten auf seinen Feldern, schlachteten das Vieh. Heute gewinnt er mit seinen Schafen Preise. Aus der Asche aufzustehen und im Leben etwas finden, was es wert macht, weiterzumachen. Das ist eine kolumbianische Erfahrung, die sich in die soziale DNA der Menschen eingebrannt hat. Ich möchte mehr davon aufnehmen, denn auf Gutes folgt Schlechtes, und auf Schlechtes folgt Gutes. Es ist eine Erfahrung, die jeder braucht und brauchen wird. Kolumbien liefert den Beweis.
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"Super gsi - Beginner's Mind" berichtet über Mark's Reisen und Outdoor-Aktivitäten, meist Skitouren, Bergsteigen und Bike-Touren. Mehr dazu hier...
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[…] nächste Land unseres Ring of Fire Projektes, geht’s als erstes nach Otavalo. Die Anreise von Popayan dauert gute 12 Stunden, 3 Busverbindungen, 3 Taxi-Fahrten, 1 Grenzübergang zu Fuß. Der Übertritt […]
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